Kapitel 17 - Familiengründung

Milagro war, wie schon gesagt, ein Macho. Während Candy ihr Baby zur Welt brachte und wieder verlor und jetzt langsam den normalen Rhythmus des Katzenlebens wieder aufnahm, machte er sich auf zu neuen Abenteuern.

Iris, die älteste Tochter von Dalila, war längst erwachsen und nun grade rollig. Sie hätte von Sothis gedeckt werden können, denn ihr Vater war Simba von Gré Jebbink. Aber Sothis hielt sich abseits. Ganz geheuer war ihm nicht vor Milagro. Milagro seinerseits war auf den Geschmack gekommen. Rassenvorurteile kannte Milagro nicht, also machte er sich skrupellos an Iris heran.

Zufällig war grade Besuch da: Frau Dr. Wolff besuchte uns. Ich hatte gehofft, ihr ein Oncillababy zeigen zu können, aber das war nun tot.

Die Gartentür stand offen und Iris flüchtete vor Milagro in den Garten. Er folgte ihr, griff sie im Nacken und schleifte sie durch den halben Garten. Es sah ziemlich gewalttätig aus und ich wollte schon eingreifen, aber Frau Wolff hielt mich zurück. "Laß ihn doch", sagte sie, "das ist doch einmalig."

"Er könnte sie verletzen und was soll werden, wenn er sie wirklich deckt? Da kann doch gar nichts Vernünftiges heraus kommen."

"Es wird wahrscheinlich auch nichts dabei herauskommen. Aber wenn es etwas würde.....ich sage, WENN, dann wäre das doch eine Sensation."

Bei der nächsten Tasse Tee wurden wir Zeuge dieser seltsamen Vereinigung des ungleichen Pärchens. Zur Vorsicht machte ich ein paar Fotos und schrieb das Datum der Deckung auf. "Für den Fall, daß ... ."

Ich war in dieser Hinsicht skeptisch, auch darum, weil ich wußte, daß ich mich von zukünftigen Oncilla-Jungtieren niemals würde trennen können. Es fiel mir schon schwer genug, einige der Abessinierbabys abzugeben. Von jedem Wurf blieb zum Trost für den Abschied immer mindestens ein Jungtier von den anderen zurück.

Frau Wolff dachte, daß man vielleicht Oncillas, die hier geboren waren, wieder im brasilianischen Regenwald aussetzen könnte, um den Wildkatzenbestand dort etwas wieder aufzufrischen.

Ich erzählte ihr alles, was ich so über die Haltung der Bevölkerung dort, den Wildkatzen gegenüber, gehört hatte. "Obendrein, Oncillas, die hier aufgewachsen wären, würden zahm sein und weniger vorsichtig den Menschen gegenüber, als die frei aufgewachsenen Wildkatzen. Und selbst die werden schon durch Jäger, Wilderer und die Bewohner der Niederlassungen dort in ihrer Existenz bedroht. Es wäre grausam und sinnlos so etwas zu tun."

"Man könnte sie in das Innere des Urwalds bringen", sagte Frau Wolff.

"Und wie willst du sie dorthin bekommen? - Ach, es ist überhaupt kein Problem, ich kann doch niemals ein Junges von Candy und Milagro in eine unsichere Zukunft schicken. Das weiß ich genau."

Wenn ich jetzt unser Gespräch wiederhole, das ich ausführlich im Tagebuch aufgezeichnet habe, dann habe ich das Gefühl, daß wir damals einfach in einer anderen Welt gelebt haben müssen. Natürlich dachte man darüber nach, daß es Tierarten gäbe, die in ihrer Existenz bedroht waren. Man hörte auch von Waldbränden, die hier und da in Südamerika mutwillig angezündet wurden. Aber an eine Bevölkerungsexplosion, wie sie sich inzwischen in den Ländern der dritten Welt entwickelt hat, dachte man noch nicht.

Wenn uns damals jemand gesagt hätte, daß wir noch erleben würden, daß der Südamerikanische Regenwald kurz vor seiner endgültigen Vernichtung steht, den hätten wir für verrückt erklärt.
Tigerkatzen in ihren ursprünglichen Lebensraum zurückzubringen, das ist längst kein Thema mehr. In eins der wenigen Reservate vielleicht, aber was man auch von denen hört, kommt dabei niemals zur Sprache, daß man sich dort für den Erhalt der kleinen Tigerkatzen einsetzt. Im Laufe der Zeit, als ich Notizen für dieses Buch machte, habe ich Berichte vom WWF (World Wildelife Fund for Nature) und anderen über den Zustand der Regenwälder gesammelt, aber sobald man sie verwenden will, sind sie schon von schlimmeren, neuen Hiobsberichten überholt.

"Der Tod des Regenwaldes bedeutet den Tod der Erde" schreibt Andrew Revkin. Die Naturkatastrophen der letzten Jahre bestätigen das inzwischen. Nein, für Oncillas gibt es keinen Platz mehr, genau so wenig wie für die vielen anderen Tiere und Pflanzen, die dort zu Hause sind.

Seit Frau Rosemarie Wolff und ich so froh und zufrieden im Garten saßen, Pläne machten und sogar die Wiedereinführung von Oncillas in den Regenwald erwogen, sind fast vierzig Jahre vergangen, weniger als die Hälfte eines Menschenlebens!

Beim Abschied mußte ich Frau Wolff versprechen, "wichtige" Beobachtungen zu notieren und ihr zu berichten.

Ein paar Tage später in diesem schönen Sommer 1964 kam auch Hermien wieder einmal. Ich erzählte ihr alles, was sich inzwischen so ereignet hatte, und sie sagte trocken: "Ich habe auch nicht erwartet, daß hier bei Euch alles schön ruhig zuginge wie bei normalen Leuten."

"Wäre doch schrecklich", gab ich ihr zu bedenken.

Milagro war noch immer intensiv mit Iris beschäftigt. "Das ist keine Hochzeit", sagte Hermien, "das ist ein Vulkanausbruch."

"Das ist die Natur und dient dem Erhalt der Spezies", verteidigte ich mein Katerchen und Hermien fragte: "Welcher Sorte? Der der Oncillas oder der der Hauskatzen, zu denen deine Abessinier schließlich auch gehören?"

"Ich weiß es wirklich nicht, Hermien. Vielleicht hätte ich es verhindern sollen, aber dafür ist es jetzt zu spät."

"Ach, ein Afrikaner und ein Eskimo würden wohl auch Kinder bekommen, wenn das grade so auskommt, und die kommen doch auch aus verschiedenen Kontinenten. Paß auf, vielleicht bekommst du Oncilla-Abessinier."

"Bitte jage mir keinen Schrecken ein, Hermien. Die gibt es einfach nicht. Und was deinen Vergleich betrifft: ein Schimpanse und ein Mensch bekommen auch keine gemeinsamen Kinder, obwohl sie sich in vielen Dingen gleichen und zu 98 % dieselben Gene tragen"
"Schade!" sagte Hermien und überließ mir die Deutung dieser Bemerkung.

Wenn ich nicht die Fotos gemacht hätte und das Deckdatum in mein Tagebuch eingetragen hätte, wäre das Abenteuer von Iris erst einmal in Vergessenheit geraten, denn, wie schon erwähnt, Candy wurde bereits zwei Wochen nach dem Tode ihres Erstgeborenen wieder heiß und ich nahm mir vor, alles daran zu setzen, daß sich diesmal alles wirklich zu einem "freudigen Ereignis" entwickeln würde.

Hier kommt ein kleiner Auszug aus meinem Tagebuch:

21.6.64
Candy ruft seit gestern im ganzen Hause herum. Sie schmeichelt an den Abessiniern entlang und läßt sich von mir streicheln, was sie mir sonst so selten erlaubt. Der Ruf, den sie ausstößt, klingt genau wie der, den wir von ihr hören, wenn sie abends ihr Fleisch riecht, aber noch nicht gleich bekommt, ungeduldig verlangend. Milagro, im Zimmer daneben, benimmt sich sehr aufgeregt und spritzt.

22.6.64
Heute ist Buena heiß. Sie knurrt laut und schmeichelt um meine Beine. Auf einmal kommt Candy und macht es ihr nach. Nur kann sie nicht so laut knurren. Ihr Knurren ist mehr ein sehr lautes Spinnen. Am Abend liegt Buena wieder auf Bobbys Schultern. Er müßte unbedingt arbeiten, aber nicht einmal eine Taube kann ihm einen Augenblick Ruhe verschaffen. Sie hat keinen Hunger, sie will ihm immer nur ihre Liebe demonstrieren.

23.6.64
Heute "präsentiert" Candy richtig. Sie richtet sich aber dabei nur an die Abessinier. Wenn Milagro in ihre Nähe kommt, jagt sie ihn laut knurrend fort. Einmal jagte sie ihn durchs ganze Haus und er flüchtete zuletzt unter einen Schrank und stieß von dort klägliche Lockrufe aus.

24.6.64
Jetzt läßt Candy sich doch von Milagro decken. Erst schickte sie ihn noch fort, aber ich streichelte sie und lenkte ihre Aufmerksamkeit ab. Da merkte sie nicht, daß Milagro näher kam und auf einmal hatte er sie im Nacken. Während der Deckung brummte Candy wieder laut, Milagro "zwitscherte" aufgeregt, wie ein Vöglein, mit einer ganz hohen Piepstimme. Unwillkürlich mußte ich an Schubert denken: "Flehend harr' ich dir entgegen, komm, beglücke mich!" Milagro meinte genau dasselbe, nur war sein "leises Flehen" unverblümter. Wenn nicht gleich alles so klappte wie er wollte, zog er Candy am Nackenfell im Zimmer herum und zwitscherte dabei weiter, ohne sie loszulassen. Zwischen zwei Deckungen, die einander sehr schnell folgen, tanzte er, immer zwitschernd, um sie herum, aufgeregt und sehr wichtig tuend.

25.6.64
Sobald ich die beiden zusammen lasse, fängt Milagro wieder an, Candy zu decken. Milagro ist jetzt viel selbstbewußter. Candy gibt sich gleich gewonnen, wenn sie ihn sieht. Ich denke, ich muß sie doch bald wieder trennen. Ich fürchte, daß sie übertreiben und krank werden könnten.

26.6.64
Noch immer derselbe Zustand. Weil ich nicht eingreifen will, ehe Candy wirklich aufgenommen hat, lasse ich beide doch wieder einige Zeit zusammen.

Einige Tage später schrieb ich:

30.6.64
Candy ist heute sehr ruhig. Ihr ganzes Benehmen ist auf einmal viel selbstbewusster. Sie geht mir z.B. nicht aus dem Wege, zeigt mir, durch welche Tür sie will usw. Das ist neu. Sie hat es früher nie gezeigt, wenn sie etwas wollte.

Heute habe ich auch gesehen, daß Candy zum ersten Mal das "Lockspiel" macht, wie die anderen Katzen, die andere zum Spielen auffordern. Dazu gehört wieder der Schrei, den sie jetzt so oft ausstößt, nur nicht so laut, sondern etwas "singender".

Soweit erst einmal meine Tagebucheintragungen. Sozusagen "live" aus der Zeit, wo alles, was passierte, neu und sehr aufregend war.

Das "Lockspiel" übrigens ist etwas, das alle Katzen ausführen, wenn sie jung und verspielt sind und einen Partner für ihre Balgereien suchen. Dann stellen sie sich hin und machen ein kleines, herausforderndes Geräusch, so ein "hümm", das "kommst du?" heißt. Sie springen ein wenig auf den anderen zu oder laufen weg "fang mich." Am besten sieht man das Lockspiel bei Katzenmüttern, die so ihre Jungen zum Spielen anregen. Das Spiel ist schließlich die "Schule" der jungen Katzen. Die Intensität des Spieles ist sogar der Gradmesser für die Intelligenz der Tiere und die Feliden gehören nun einmal zu den intelligentesten unter den Predatoren.

Dass Candy jetzt auf einmal auf diese Weise die anderen lockte, war für sie wohl eine Art Übung für später, wenn sie ihre Kinder zu erziehen haben würde. Diesmal würde sie es sicher spielen können. Sie würde ganz bestimmt ein lebendes Junges bekommen, da war ich mir sicher.
Ein Sommer voll Erwartungen, in einer fast sorglosen Zeit. Ach, warum kann man die Zeit nicht wenigstens einmal in seinem Leben anhalten und einfach genießen?

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