1. Sippe: Löwen (Leo)

Die Löwen (Leo) sind leicht von sämtlichen übrigen Katzen zu unterscheiden. Ihre Hauptkennzeichen liegen in dem stark gebauten, kräftigen Leibe mit der kurzen, glatt anliegenden, einfarbigen Behaarung, in dem breiten, kleinäugigen Gesichte, in dem Herrschermantel, welcher sich um ihre Schultern schlägt, und in der Quaste, welche ihre Schwanzspitze ziert. Beim Vergleiche mit anderen Katzen erscheint der Rumpf der Löwen kurz, der Bauch eingezogen, und der ganze Körper deshalb sehr kräftig, nicht aber plump. An der Spitze des Schwanzes, in der Quaste verborgen, steckt ein horniger Nagel, den schon Aristoteles beachtete, aber viele der neueren Naturforscher leugneten. Die Augen sind klein und haben einen runden Stern, die Schnurren ordnen sich in sechs bis acht Reihen. Vor allem ist es die Mähne, welche die männlichen Löwen auszeichnet und ihnen das stolze, königliche Ansehen verleiht.

Ein Königsmantel, dicht und schön,
Umwallt des Löwen Brust und Mähn',
Eine Königskrone wunderbar,
Sträubt sich der Stirne straffes Haar.

Diese Mähne bekleidet in vollster Ausbildung den Hals und die Vorderbrust, ändert aber so verschieden ab, dass man aus ihr allein die Heimat des Löwen erkennen kann, und dass man nach ihr, ob mit Recht oder Unrecht bleibe dahingestellt, mehrere Arten des Thieres unterschieden hat. So ist sie beim persischen Löwen lang, aus schwarzen und braunen Haaren zusammengesetzt, bei dem Löwen von Guzerate aber nur aus kurzen, dünnen, gekrümmten Haaren gebildet, bei diesem einfarbig, bei jenem gemischt. Ich will die verschiedenen Formen des Löwen weiter unten kurz beschreiben und darf es dann jedem meiner Leser überlassen, sich selbst ein Urtheil zu bilden: einstweilen wenden wir unsere Aufmerksamkeit der stolzesten und königlichsten Art, dem Löwen der Berberei, zu; denn er ist es, welcher seit den ältesten Zeiten seines Muthes, seiner Kühnheit und Kraft, Tapferkeit und Stärke, seines Heldensinnes, Adels und seiner Großmuth, seines Ernstes und seiner Ruhe halber bekannt geworden ist und den Namen König der Thiere erhalten hat. Er ist in der That das stärkste, muthigste und berühmteste aller Raubthiere, die gewaltigste Katze, der gefährlichste und wildeste aller übrigen Löwen. Kraft, Selbstvertrauen, kühler, sicherer Muth und Siegesgewißheit im Kampfe spiegeln sich in seinem Aussehen. Hoch aufgerichtet ist der Rumpf, noch höher gehalten der Kopf, majestätisch sein Blick, würdevoll, achtunggebietend seine Haltung. Alles an ihm zeugt von Adel; jede Bewegung erscheint gemessen und würdig; Körper und Geist stehen im vollsten Einklange.

Berberlöwe (Leo barbarus)

Der Berberlöwe (Leo barbarus, Felis Leo) hat wie seine Verwandten starken, gedrungenen Leibesbau; sein Vorderleib ist wegen der breiten Brust und der eingezogenen Weichen viel stärker als der Hinterleib. Der dicke, fast viereckige Kopf verlängert sich in eine breite und stumpfe Schnauze; die Ohren sind abgerundet, die Augen nur mittelgroß, aber lebendig und feurig, die Glieder gedrungen und außerordentlich kräftig, die Pranken die größten, vielleicht auch verhältnismäßig die größten, aller Katzen; der lange Schwanz endigt mit einem kurzen Stachel und wird von einer flockigen Quaste bedeckt. Ein glatter, kurzer Pelz von lebhaft röthlich-gelber oder fahlbrauner Farbe bedeckt Gesicht, Rücken, Seiten, Beine und Schwanz; hier und da endigen die Haare mit schwarzen Spitzen oder sind völlig schwarz, und hierdurch entsteht eben jene gemischte Färbung. Kopf und Hals werden von einer starken und dichten Mähne umgeben, welche aus langen, schlichten, in Strähnen herabfallenden, vorn bis zur Handwurzel und hinten fast bis zur Hälfte des Rückens und der Seiten herabreichenden Haaren besteht. Auch der Unterleib trägt seiner ganzen Länge nach dichtgestellte, schlichte Haare; selbst an den Elnbogen und den Vordertheilen der Schenkel stehen wenigstens noch Büschel von ihnen. Am Kopfe und am Halse ist die eigentlich fahlgelbe Mähne mit rostschwarzen Haaren untermengt, welche letztere namentlich an den Seitentheilen des Nackens reichlich herabfallen und, mit Fahlgelb gemischt, auch in der mattschwarzen Bauchmähne, in den schwarzen Haarbüscheln an den Elnbogen und Schenkeln und an der Schwanzquaste sich finden. Dies gilt von dem männlichen ausgewachsenen Löwen, dessen Höhe am Widerrist 80 bis 90 Centim. bei 1,5 Meter Leibes- und 80 Centim. Schwanzlänge beträgt. Es ergibt sich somit eine Gesammtlänge des Thieres, von der Schnauzenspitze bis zum Schwanzende gerechnet, von 2,3 Meter. Neugeborene Löwen haben eine Länge von etwa 33 Centim., aber weder eine Mähne, noch eine Schwanzquaste, sondern sind mit wolligen, graulichen Haaren bedeckt, am Kopfe und an den Beinen schwarz gefleckt, an den Seiten, über dem Rücken und am Schwanze mit kleinen, schwarzen Querstrichen gebändert und auf der Firste des Rückens schwarz gezeichnet. Schon im ersten Jahre verschwinden die Flecken und Streifen, im zweiten Jahre ist die Grundfarbe ein gleichmäßiges Fahlgelb geworden, und im dritten Jahre erscheinen die Zeichen der Mannbarkeit. Die Löwin ähnelt immer mehr oder weniger dem jüngeren Thiere; namentlich der gleichlange oder nur äußerst wenig am Vorderkörper verlängerte Haarpelz zeichnet sie vor dem Männchen aus.
Sieht man in dem eben beschriebenen Löwen eine besondere Art, so hat man ihr Verbreitungsgebiet auf die Länder des Atlas zu beschränken.

Senegal- (L. senegalensis) / Kaplöwe (L. capensis)

Kaplöwe

Kaplöwe

aus Brehms Tierleben, 1884

Von dem Löwen der Berberei unterscheidet sich der Senegallöwe (Leo senegalensis) durch seine am Vordertheile des Leibes wohl entwickelte, an der Unterseite dagegen schwache oder gänzlich fehlende, lichte Mähne, während der Kaplöwe (Leo capensis), welcher auch in Habesch vorzukommen scheint, durch seine bedeutende Größe sich hervorthut und eine dunkle Mähne trägt.

Beide sind gewiß nur als Spielarten einer und derselben Grundform anzusehen.

Das Verbreitungsgebiet des Senegallöwen umfaßt alle Länder Mittel- und Südafrikas, von der West- bis zur Ostküste und vom 20. Grade nördlicher Breite an bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung. In den Nilländern kommt er gegenwärtig nicht diesseit des 17. Breitengrades vor. Am Blauen und Weißen Nile und in Habesch ist er in waldigen Gegenden eine regelmäßige, in vielen Steppenländern Mittel- und Südafrikas eine häufige Erscheinung.

Perserlöwe (Leo persicus)

Den Perserlöwen (Leo persicus), welcher eine aus braunen und schwarzen Haaren gemischte Mähne besitzt, und sich von Persien bis Indien verbreitet, kennen wir noch zu wenig, als daß wir mit Bestimmtheit sagen könnten, ob er mit dem Senegallöwen oder dem mähnenlosen Verwandten aus Guzerate in Indien größere Aehnlichkeit hat, beziehentlich mit diesem oder jenem vereinigt werden muß.

Guzeratlöwe (Leo googratensis)

Der Guzeratlöwe, mähnenlose Löwe, Oediabagh oder Kameltiger der Eingeborenen endlich (Leo googratensis), welchen Smee zuerst beschrieb und als besondere Art aufstellte, ist bedeutend kleiner als die aufgeführten Verwandten, bis auf die weiße Schwanzquaste am ganzen Leibe röthlichfahlgelb gefärbt und wirklich beinahe mähnenlos, d.h. die bei den übrigen Arten oder Spielarten so bezeichnende Mähne bei ihm kaum mehr als angedeutet. Diese Mähnenlosigkeit erscheint um so auffallender, als sie nicht als Folge klimatischer Einflüsse aufgefaßt werden kann, da in Indien, laut King, auch bemähnte Löwen erlegt worden sind, im Gebiete der östlichen Zuflüsse des Dschumma sogar regelmäßig vorzukommen scheinen.
Wie weit das Verbreitungsgebiet des Guzeratlöwen sich erstreckt, hat mit Sicherheit bisher noch nicht festgestellt werden können. Smee fand ihn in Guzerate namentlich in den Dschungelwaldungen längs der Flüsse und zwar so häufig auf, daß er in Zeit von einem Monate elf Stück erlegen konnte, obgleich die Eingeborenen nicht viel von dem ihre Herden in arger Weise heimsuchenden Kameltiger zu erzählen wußten, die von letzterem ausgeführten Ueberfälle gewöhnlich auch dem Tiger zuschrieben. Jedenfalls haben wir in dem Guzeratlöwen eine bereits den Alten bekannte Art oder Spielart wieder aufgefunden.
Es läßt sich schwer sagen, welche Ansicht man bei Beurtheilung oder Entscheidung der Frage, ob die erwähnten Löwen sammt und sonders Spielarten einer und derselben Art sind, oder aber, ob wenigstens Berber-, Senegal- und Guzeratlöwe als verschiedene Arten aufgefaßt werden dürfen, zu der seinigen machen soll.
Die Bemähnung ist auch innerhalb der engeren Artgrenzen unverkennbar einem gewissen Wechsel unterworfen und die Folgerung, daß die stärkere oder schwächere Wucherung der Mähnenhaare auf klimatische Ursachen zurückzuführen sei, hat unzweifelhaft eine gewisse Berechtigung.

Und doch wird jeder im Vergleichen geübte Thiergärtner und jeder Thierhändler auf den ersten Blick mit Bestimmtheit sagen können, welche der drei beschriebenen Hauptformen er vor sich sieht, und jeder Thierkundige sich erinnern müssen, daß es noch andere Katzengruppen gibt, deren Arten, obschon sie unzweifelhaft als verschieden aufgefaßt werden müssen, mindestens in demselben Grade sich ähneln wie gedachte Löwen. Für unseren Zweck darf die vielfach beregte Frage übrigens als ziemlich bedeutungslos erscheinen, da im wesentlichen alle Löwen in ihrer Lebensweise sich gleichen.

Die Zeiten, in denen man sechshundert Löwen zum Kampfe in der Arena zusammenbringen konnte, liegen um Jahrtausende hinter uns. Seitdem hat sich der König der Thiere vor dem Herrn der Erde stetig mehr und mehr zurückgezogen. Herodot erzählt uns, daß bei einem Heerzuge des Xerxes in Macedonien Löwen des Nachts über die das Gepäck tragenden Kamele herfielen, zu allgemeiner Verwunderung der Krieger, da man in dieser Gegend niemals vorher die stolzen Raubthiere gespürt hatte; Aristoteles gibt die Flüsse Ressus und Acheolus als die Grenze des Löwengebietes in Europa an und sagt ausdrücklich, daß es in Europa nirgends weiter als hier Löwen gäbe. Wann diese in unserem Erdtheile ausgerottet wurden, läßt sich nicht feststellen; sicherlich aber ist mehr als ein Jahrtausend seitdem vergangen. Daß der Löwe, und zwar unzweifelhaft die persische Spielart, vormals in Syrien und Palästina lebte, wissen wir durch die Bibel; über die Zeit der Ausrottung in dem heiligen Lande aber haben wir keine Kunde. Wie hier oder dort ergeht es dem gefährlichen Feinde der Herden allerorten: der Mensch tritt überall nach besten Kräften gegen ihn in die Schranken und wird ihn ebenso stetig wie bisher zurückdrängen und endlich vernichten. Der Berberlöwe lebte früher im ganzen nordöstlichen Afrika und war in Egypten nicht viel weniger häufig als in Tunis oder in Feß und Marokko; die Zunahme der Bevölkerung und Bildung aber verdrängte ihn mehr und mehr, so daß er jetzt schon im unteren Nilthale und fast an der ganzen südlichen Küste des Mittelmeeres nicht mehr getroffen wird. Aber noch heutigen Tages ist er in Algier und Marokko keine Seltenheit und in Tunis und der Oase Fessan wenigstens noch eine ständige Erscheinung. Namentlich in Algier hat er stark abgenommen: die häufigen Kriege der Franzosen mit den Arabern haben ihn verdrängt, und die französischen Löwenjäger, zumal der berühmte Jules Gerard, seine Reihen sehr gelichtet. Für den Senegallöwen liegen die Verhältnisse günstiger: der meist mit der Lanze, seltener mit dem Giftpfeile und nur ausnahmsweise mit dem Feuergewehre bewaffnete Eingeborene Mittel- und Südafrika's vermag seinem schlimmsten Steuererheber wenig Abbruch zu thun. Und doch drängt auch der dunkelfarbige Mensch den Löwen mehr und mehr zurück. Noch vor fünfzig Jahren vernahmen Hemprich und Ehrenberg das Löwengebrüll in den Waldungen Südnubiens, unweit der Ortschaft Handakh: heutzutage gibt es dort keine Löwen mehr. In den unteren Nilländern sind diese schon vor Jahrhunderten gänzlich ausgerottet worden; in den Steppen Takhas, Sennârs und Kordofâns, woselbst sie noch vorkommen, werden sie von Jahr zu Jahr seltener. Dasselbe gilt für die West- und Ostküste wie für den Süden des Erdtheils, insbesondere überall da, wo sich der Europäer ansiedelt. Dem Feuergewehre und dem kühnen Muthe des letzteren gegenüber vermag auch dieses Raubthier nicht Stand zu halten. Demungeachtet beherbergen die weiten Steppenländer Innerafrika's noch Löwen in ungezählter Menge und werden sie behalten, so lange neben den zahmen noch die wilden Herden, neben Hunderttausenden von Rindern noch Millionen von Antilopen jene weiten Gebiete durchstreifen.

Der Löwe lebt einzeln, und nur während der Brunstzeit hält er sich zu seinem Weibchen. Außer der Paarzeit bewohnt jeder Löwe sein eigenes Gebiet, ohne jedoch der Nahrung wegen mit anderen seiner Art in Streit zu gerathen. Vielmehr kommt es häufig vor, daß sich zu größeren Jagdzügen mehrere Löwen vereinigen. Nach Livingstone, dessen Berichte durchaus den Stempel der Wahrheit tragen, schweifen Trupps von sechs bis acht Stücken, wahrscheinlich zwei Löwinnen mit ihren Jungen, gemeinschaftlich jagend umher; Heuglins Leute sahen eines Morgens ihrer sechs oder sieben bei einander. Unter außergewöhnlichen Umständen gesellen sich, zumal im Süden Afrika's, noch zahlreichere Trupps. Wenn die trockene Jahreszeit vorschreitet , schreibt mir Eduard Mohr, also in den Monaten Mai bis September, verlassen zahllose Antilopen- und Quaggaherden die trockenen Einöden der Kalaharisteppe oder die einsamen Hochebenen des Transvaal und suchen jene weiten Grasebenen auf, welche um Lucia-Bai sich ausbreiten, unterwegs oder hier zu unschätzbaren Scharen anwachsend. Solchen Wildherden folgt der Löwe mitunter in förmlichen Rudeln. Der mir innig befreundete Jäger John Dunn traf, wie er mir berichtete, mit seinem Gefährten Oswell im Jahre 1861 in der Anatonga-Einöde eine wandernde Blaugnuherde, vermischt mit Quaggas und Impallah-Antilopen, welche nach seiner Schätzung in einer Breite von dreiviertel Meilen (englisch) dahinzog und fünfunddreißig Minuten zum Vorübertraben gebrauchte. Dieser Herde folgten einige zwanzig große und kleine, zu einem Rudel vereinigte Löwen. Da auch Anderson von Löwenherden spricht, müssen wir zunächst wohl an die Wahrheit dieser Angaben glauben.
Während der Paarzeit bejagen Löwe und Löwin, nach der Brunstzeit gewöhnlich ihrer zwei oder drei, gemeinschaftlich ein je nach dem Wildstande mehr oder weniger ausgedehntes Gebiet, welches sie verlassen, wenn sie ihre Beute zu sehr gelichtet oder vertrieben haben. Jeder Löwe bedarf so viele Nahrung, daß eine größere Anzahl Seinesgleichen in einer Gegend nicht lange sich ernähren können würde. Breite waldige Thäler an Flüssen sind Lieblingsorte des Löwen; im Gebirge scheint es ihm weniger zu behagen; doch steigt er nach eigenen Erfahrungen immerhin bis zu 1500 Meter an den Bergen empor.
An irgend einem geschützten Orte, im Sudân gerne in den Gebüschen, im Süden Afrika's mit Vorliebe in den breiten Gürteln hochstengeliger Schilfgräser, welche die Betten der zeitweilig fließenden Ströme begrenzen, wählt sich der Löwe eine flache Vertiefung zu seinem Lager und ruht hier einen oder mehrere Tage lang, je nachdem die Gegend arm oder reich, unruhig oder ruhig ist. In den größeren Waldungen bewohnt er oft lange ein und denselben Platz und verläßt ihn erst dann, wenn er hier seinen Wildstand gar zu sehr gemindert hat. Auf der Wanderung bleibt er liegen, wo ihn bei seinen Streifzügen der Morgen überrascht, immer aber in den verborgensten Theilen des Dickichts.

Im ganzen ähneln seine Gewohnheiten denen anderer Katzen; doch weicht er in vielen Stücken nicht unwesentlich von denselben ab. Er ist träger als alle übrigen Mitglieder seiner Familie und liebt größere Streifzüge durchaus nicht, sondern sucht es sich so bequem zu machen, als irgend möglich. Deshalb folgt er z.B. im Ostsudân regelmäßig den Nomaden, sie mögen sich wenden, wohin sie wollen. Er zieht mit ihnen in die Steppe hinaus und kehrt mit ihnen nach dem Walde zurück; er betrachtet sie als seine steuerpflichtigen Unterthanen und erhebt von ihnen in der That die drückendsten aller Abgaben.
Seine Lebensweise ist eine rein nächtliche; denn nur gezwungen verläßt er am Tage sein Lager. Bei Tage begegnet man ihm äußerst selten, im Walde kaum zufällig, sondern erst dann, wenn man ihn ordnungsmäßig aufsucht und durch Hunde von seinem Lager auftreiben läßt. Die Araber behaupten, daß er um die Mittagszeit entsetzlich vom kalten Fieber gepeinigt werde und deshalb so faul sei. Wolle man ihn jagen, so müsse man ihn vorher durch Steinwürfe auftreiben; er selbst rühre sich nicht. So arg ist es freilich nicht, eine große Trägheit aber kann ihm nicht abgesprochen werden, wenigstens so lange, als die Sonne am Himmel steht. Wie mich meine letzte Reise nach Habesch belehrte, kommt es doch vor, daß man ihn auch bei Tage im Dickicht umherschleichen oder ruhig und still auf einem erhabenen Punkte sitzen sieht, von wo aus er das Treiben der Thiere seines Jagdgebietes beobachten will. So brachte mir einer unserer Leute die Nachricht, daß er in der Mittagsstunde einen Löwen in dem von Mensah nach dem Ain-Saba abfallenden Thale habe sitzen sehen. Der Löwe betrachtete ihn und sein Kamel mit großer Theilnahme, ließ aber beide ungefährdet ihres Weges ziehen. Man hat dieses Umschauhalten, welches schon von Levaillant beobachtet und von späteren Reisenden wiederholt berichtet wurde, für unwahr gehalten; allein auch wir haben uns davon überzeugt. Denn ein anderer Löwe, welchen wir in der Samchara auf der Spitze eines nackten, kiesbedeckten Hügels liegen sahen, konnte offenbar nur die eine Absicht haben, sein Jagdgebiet zu überschauen, um den Ort zu ermitteln, welcher ihm bei dem abendlichen Ausgange am ehesten Beute liefern könne.

In die Nähe der Dörfer kommt er nicht vor der dritten Nachtstunde. Drei Mal , so sagen die Araber, zeigt er durch Brüllen seinen Aufbruch an und warnt hierdurch alle Thiere, ihm aus dem Wege zu gehen. Diese gute Meinung ruht leider auf schwachen Füßen; denn ebenso oft, als ich das Brüllen des Löwen vernahm, habe ich in Erfahrung gebracht, daß er lautlos zum Dorfe herangeschlichen war und irgend ein Stück Vieh weggenommen hatte. Ein Löwe, welcher kurz vor unserer ersten Ankunft in Mensah vier Nächte hinter einander das Dorf betreten hatte, war einzig und allein daran erkannt worden, daß er beim versuchten Durchbruch einer Umzäunung einige seiner Mähnenhaare verloren hatte. Es wurde als sehr wahrscheinlich angenommen, daß er auch in den ersten Nächten unseres Aufenthaltes das Dorf umschlich; dennoch vernahmen wir sein Gebrüll nur zweimal und zwar in weiter Ferne, während ich dasselbe früher in Kordofân nicht allein vor dem Dorfe, sondern mitten in demselben ertönen gehört hatte. Auch andere Beobachter erzählen, daß der Löwe sehr oft lautlos herbeigeschlichen kommt, wie ein Dieb in der Nacht .
Und doch sagen die Araber nicht die Unwahrheit; sie deuten das Thatsächliche nur falsch. Fritsch hörte drei Löwen in nächster Nähe seines Wagens, an welchem die Zugochsen angebunden waren, bald brüllen, bald grunzen; ich selbst vernahm in Kordofân und in den Urwaldungen am Blauen Flusse den Donner aus des Löwen Brust bald nach Einbruch der Nacht mehr als hundert Male, habe in diesem Gebrülle aber nicht eine Warnung an die Beutethiere erkennen gelernt, bin vielmehr zu der Meinung geführt worden, daß es bezwecken soll, das Jagdgebiet aufzuregen, die Thiere zur Flucht zu veranlassen und dadurch einem oder dem anderen Löwen, wenn nicht dem brüllenden, so vielleicht dem gemeinschaftlich mit ihm jagenden, irgendwo auf der Lauer liegenden Gefährten ein Wild zuzuführen. Daß der Löwe angesichts eines Viehgeheges, heiße dasselbe nur Krâl oder Ser ba, in der Absicht brüllt, das eingepferchte Vieh womöglich zum furchtblinden Ausbrechen zu verleiten, glaube ich mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen. Ich will versuchen, den Ueberfall eines solchen Geheges durch den Löwen aus eigener Erfahrung zu schildern.
Mit Sonnenuntergang hat der Nomade seine Herde in der sicheren Ser ba eingehürdet, in jenem bis drei Meter hohen und etwa einem Meter dicken, äußerst dichten, aus den stachlichsten Aesten der Mimosen geflochtenen Zaune, dem sichersten Schutzwalle, welchen er bilden kann. Dunkel senkt sich die Nacht auf das geräuschvolle Lager herab. Die Schafe blöken nach ihren Jungen, die Rinder, welche bereits gemolken wurden, haben sich niedergethan. Eine Meute wachsamer Hunde hält die Wacht. Mit einem Male läutet hell sie auf; im Nu ist sie versammelt und stürmt nach einer Richtung in die Nacht hinaus. Man hört den Lärm eines kurzen Kampfes, wüthend bellende Laute und grimmig heiseres Gebrüll, sodann Siegesgeläut: eine Hiäne umschlich das Lager, mußte aber vor den muthigen Wächtern der Herden nach kurzer Gegenwehr die Flucht ergreifen. Einem Leoparden würde es kaum besser ergangen sein. Es wird stiller und ruhiger; der Lärm verstummt; der Frieden der Nacht senkt sich auf das Lager herab. Weib und Kind des Herdenbesitzers haben in dem einen Zelte die Ruhe gesucht und gefunden. Die Männer haben ihre letzten Geschäfte abgethan und wenden sich ebenfalls ihrem Lager zu. Von den nächsten Bäumen herab spinnen die stufenschwänzigen Ziegenmelker ihren Nachtgesang oder tragen fliegend ihre Federschleppe durch die Lüfte, nähern sich oft und gern der Ser ba und huschen wie Geister über die schlafende Herde hinweg. Sonst ist alles still und ruhig. Selbst die kläffenden Hunde sind verstummt, nicht aber auch lässig oder schlaff geworden in ihrem treuen Dienste.
Urplötzlich scheint die Erde zu dröhnen: in nächster Nähe brüllt ein Löwe! Jetzt bewährt er seinen Namen Essed , d.i. der Aufruhrerregende; denn ein wirklicher Aufruhr und die größte Bestürzung zeigt sich in der Ser ba. Die Schafe rennen wie unsinnig gegen die Dornhecken an, die Ziegen schreien laut, die Rinder rotten sich mit lautem Angstgestöhn zu wirren Haufen zusammen, das Kamel sucht, weil es gern entfliehen möchte, alle Fesseln zu zersprengen, und die muthigen Hunde, welche Leoparden und Hiänen bekämpften, heulen laut und kläglich und flüchten sich jammernd in den Schutz ihres Herrn, welcher selbst rath- und thatlos, an seiner eigenen Stärke verzweifelnd, sie der ihm übermächtigen Gewalt unterordnend, in seinem Zelte zittert, es nicht wagt, nur mit seiner Lanze bewaffnet einem so furchtbaren Feinde gegenüberzutreten, und es geschehen lassen muß, daß der Löwe näher und näher herankommt, daß die leuchtenden Augen zu dem Schrecken der Stimme noch einen neuen fügen, der es geschehen lassen muß, daß das Raubthier auch noch einen zweiten seiner arabischen Namen Sabaa , d.i. Würger der Herden , bethätigt.
Mit gewaltigem Satze überspringt der Mächtige die Dornenmauer, um sich ein Opfer auszuwählen. Ein einziger Schlag seiner furchtbaren Pranken fällt ein zweijähriges Rind; das kräftige Gebiß zerbricht dem widerstandslosen Thiere die Wirbelknochen des Halses. Dumpfgrollend liegt der Räuber auf seiner Beute; die lebhaften Augen funkeln hell vor Siegeslust und Raubbegier; mit dem Schwanze peitscht er die Luft. Er läßt das verendende Thier auf Augenblicke los und faßt es mit seinem zermalmenden Gebisse von neuem, bis es sich endlich nicht mehr regt. Dann tritt er seinen Rückzug an. Er muß zurück über die hohe Umzäunung und will auch seine Beute nicht lassen. Seine ganze ungeheuere Kraft ist erforderlich, um mit dem Rinde im Rachen den Rücksprung auszuführen. Aber er gelingt: ich selbst habe eine fast drei Meter hohe Ser ba gesehen, über welche der Löwe mit einem zweijährigen Rinde im Rachen hinweggesetzt war; ich selbst habe den Eindruck wahrgenommen, welchen die schwere Last auf der Firste des Zaunes bewirkt hatte, und auf der anderen Seite die Vertiefung im Sande bemerkt, welche das herabstürzende Rind zurückließ, bevor es der Löwe weiter schleppte. Mit Leichtigkeit trägt er eine solche Last seinem Lager zu, und man sieht die Furche, welche ein so geschleiftes Thier im Sande zog, oft mit der größten Deutlichkeit bis zum Platze, an welchem es zerrissen wurde.
Erst nach Abzug des Löwen athmet alles Lebende in dem Lager freier auf; denn es schien geradezu durch die Furcht gebannt zu sein. Der Hirte ergibt sich gefaßt in sein Schicksal: er weiß, daß er in dem Löwen einen König erkennen muß, welcher ihn fast ebenso arg brandschatzt als der Menschenkönig, unter dessen Botmäßigkeit er steht.

Man begreift, daß alle Thiere, welche diesen fürchterlichen Räuber kennen, vor Entsetzen fast die Besinnung verlieren, sobald sie ihn nur brüllen hören. Dieses Gebrüll ist bezeichnend für das Thier selbst. Man könnte es einen Ausdruck seiner Kraft nennen: es ist einzig in seiner Art und wird von keiner Stimme eines anderen lebenden Wesens übertroffen. Die Araber haben ein sehr bezeichnendes Wort dafür: raad , d.h. donnern. Beschreiben läßt sich das Löwengebrüll nicht. Tief aus der Brust scheint es hervorzukommen und diese zersprengen zu wollen. Es ist schwer, die Richtung zu erkennen, von woher es erschallt; denn der Löwe brüllt gegen die Erde hin, und auf dieser pflanzt sich der Schall wirklich wie Donner fort. Das Gebrüll selbst besteht aus Lauten, welche zwischen O und U in der Mitte liegen und überaus kräftig sind. In der Regel beginnt es mit drei oder vier langsam hervorgestoßenen Lauten, welche fast wie ein Stöhnen klingen; dann folgen diese einzelnen Laute immer schneller und schneller; gegen das Ende hin aber werden sie wieder langsamer und dabei nehmen sie auch mehr und mehr an Stärke ab, so daß die letzten eigentlich mehr einem Geknurr gleichen. Sobald ein Löwe seine gewaltige Stimme erhebt, fallen alle übrigen, welche es hören, mit ein, und so kommt es, daß man im Urwalde zuweilen eine wirklich großartige Musik vernehmen kann.
Unbeschreiblich ist die Wirkung, welche des Königs Stimme unter seinen Unterthanen hervorruft. Die heulende Hiäne verstummt, wenn auch nur auf Augenblicke; der Leopard hört auf, zu grunzen; die Affen beginnen laut zu gurgeln und steigen angsterfüllt zu den höchsten Zweigen empor; die Antilopen brechen in rasender Flucht durchs Gezweige; die blökende Herde wird todtenstill; das beladene Kamel zittert, gehorcht keinem Zurufe seines Treibers mehr, wirft seine Lasten, seinen Reiter ab und sucht sein Heil in eiliger Flucht; das Pferd bäumt sich, schnauft, bläst die Nüstern auf und stürzt rückwärts; der nicht zur Jagd gewöhnte Hund sucht winselnd Schutz bei seinem Herrn kurz, zur vollen Wahrheit wird Freiligraths Schilderung:

Dem Panther starrt das Rosenfell,
Erzitternd flüchtet die Gazell',
Es lauscht Kamel und Krokodil
Des Königs zürnendem Gebrüll .

Und selbst der Mann, in dessen Ohr zum ersten Male diese Stimme schlägt in der Nacht des Urwaldes, selbst er fragt sich, ob er auch Held genug ist dem gegenüber, welcher diesen Donner hervorruft. Livingstone freilich meint, daß das Geschrei des Straußes nicht minder laut sei als das Gebrüll des Löwen und doch Niemanden Furcht einflöße, und daß sich das Löwengebrüll von einem sicheren Hause oder vom Wagen aus recht gut anhöre, ist aber doch so ehrlich zuzugestehen, daß sich die Verhältnisse wesentlich ändern, wenn es sich gesellt zu dem furchtbaren Donner eines Gewitters Innerafrika's, dessen Blitze die dunkle Nacht nur noch schwärzer erscheinen lassen und dessen Regen das Feuer auslöscht, oder aber, wenn man sich einem Löwen gegenüber waffen- und wehrlos fühlt. Ich darf versichern, daß auch ich den Donner aus des Löwen Brust, welcher anfänglich einen gewaltigen Eindruck auf mich machte, später gern zu hören und als großartig schauerliche Nachtmusik des Urwaldes zu würdigen gelernt, daß ich aber doch gerade im Urwalde muthige Türken, welche Kugeln und Speeren ihrer Feinde ruhig entgegengetreten waren, vor diesen gewaltigen Lauten erbleichen gesehen habe.
Dasselbe Angstgefühl, welches das Löwengebrüll hervorruft, bemächtigt sich der Thiere, wenn sie den Löwen durch einen anderen Sinn wahrnehmen, schon, wenn sie ihn bloß wittern, ohne ihn zu sehen: sie wissen alle, daß seine Gegenwart für sie Tod bedeutet.

Wo es der Löwe haben kann, siedelt er sich in der Nähe der Dörfer an und richtet seine Streifzüge einzig und allein nach diesen hin. Er ist ein unangenehmer Gast und läßt sich nicht so leicht vertreiben, umsoweniger als er bei seinen Ueberfällen einen nicht unbedeutenden Grad von Schlauheit zeigt. Wenn der Löwe zu alt wird, um auf die Jagd nach Wild zu gehen , meint Livingstone, so kommt er in die Dörfer nach Ziegen, und wenn ihn hierbei ein Weib oder Kind in den Weg tritt, wird es ebenfalls seine Beute. Die Löwen, welche Menschen angreifen, sind immer alte, und die Eingeborenen sagen, wenn einer der gefährlichen Räuber erst einmal im Dorfe eingebrochen ist und Ziegen weggeholt hat: seine Zähne sind abgenutzt; er wird nun bald einen Menschen tödten. Auch ich glaube, daß nur alte, erfahrene Löwen in die Dörfer kommen, bin aber der Ansicht, daß ihre Zähne dann noch in vortrefflichem Stande sind. Der Mensch ist häufig genug der alleinige Ernährer des Löwen, und wenn dieser erst einmal die ihm innewohnende Scheu vor menschlichen Niederlassungen verloren und erprobt hat, wie leicht gerade hier sich Beute erlangen läßt, wird er immer dreister und kühner. Dann siedelt er sich in möglichster Nähe des Dorfes an und betreibt von hier aus seine Jagd so lange, als der Mensch ihm es gestattet. Einzelne werden, nach glaubwürdigen Mittheilungen, so kühn, daß sie auch bei Tage sich zeigen; ja, sie sollen, wie wiederholt behauptet worden ist, unter Umständen nicht einmal durch die Lagerfeuer sich zurückhalten lassen. Gegen diese Angabe spricht die feste Ueberzeugung aller Innerafrikaner, mit denen ich verkehrt habe, von der erwünschten Wirksamkeit des Feuers. Sie versichern, daß letzteres stets genüge, den Löwen abzuhalten, und wissen kein Beispiel zu erzählen, daß das Raubthier ein durch sorgsam unterhaltene Wachtfeuer geschütztes Lager überfallen habe. Vom Leoparden erzählen sie das Gegentheil.
Ganz anders, als bei Angriffen auf zahme Thiere, benimmt sich der Löwe, wenn er es mit Wild zu thun hat. Er weiß, daß dieses ihn auf ziemliche Entfernung hin wittert und schnellfüßig genug ist, ihm zu entkommen. Deshalb lauert er auf die wildlebenden Thiere oder schleicht sich, oft in Gesellschaft mit an deren seiner Art, äußerst vorsichtig unter dem Winde an sie heran, und zwar keineswegs nur zur Nachtzeit, sondern auch angesichts der Sonne. Eine kleine Herde von Zebras , so erzählt ein englischer Löwenjäger, weidete ruhig und unbesorgt in einer Ebene, nicht ahnend, daß ein Löwenpaar mit seinen Jungen lautlos mehr und mehr sich näherte. Der Löwe und die Löwin hatten einen ordentlichen Schlachtplan entworfen und stahlen sich so sacht und unbemerklich durch das hohe Gras, daß sie der scharfen Aufmerksamkeit der Thiere entgingen. So krochen sie heran, bis sie fast zum Sprunge nahe waren; da bemerkte das Wachtthier plötzlich den fürchterlichen Feind und gab das Zeichen zur Flucht. Aber es war zu spät. Mit einem einzigen Sprunge setzte der männliche Löwe über Gras und Büsche hinweg und fiel mit der ganzen Wucht seines Leibes auf das eine Zebra, welches augenblicklich unter ihm zusammenbrach. Die anderen stiebten angsterfüllt in alle Winde.
Diese Angabe stimmt mit dem, was ich im Sudân und in Habesch erfuhr, recht gut überein. Trotzdem bilden solche Tagjagden immer Ausnahmen von der Regel. Gewöhnlich wartet der Löwe wenigstens die Dämmerung ab, bevor er an seine Jagd denkt. Wie dem zahmen Vieh zieht er den wilden Herden nach, und wie andere Katzen legt er sich in der Nähe der begangensten Wechsel auf die Lauer. Wasserplätze in den Steppen z.B., zu denen die Thiere der Wildnis kommen, um zu trinken, werden auch von ihm aufgesucht, in der Absicht, Beute zu machen.

Wenn der heiße Tag vorüber ist und die kühle Nacht sich allmählich herabsenkt, eilt die zierliche Antilope oder die mildäugige Girafe, das gestreifte Zebra oder der gewaltige Büffel, um die lechzende Zunge zu erfrischen. Vorsichtig nahen sie sich alle der Quelle oder der Lache; denn sie wissen, daß gerade diejenigen Orte, welche ihnen die meiste Labung bieten sollen, für sie die gefährlichsten sind. Ohne Unterlaß witternd und lauschend, scharf in die dunkle Nacht äugend, schreitet das Leitthier der Antilopenherde dahin. Keinen Schritt thut es, ohne sich zu versichern, daß alles still und ruhig sei. Die Antilopen sind meistens schlau genug, ebenfalls unter dem Winde an die Quelle zu gehen, und so bekommt das Leitthier die Witterung oft noch zur rechten Zeit. Es stutzt, es lauscht, es äugt, es wittert noch einen Augenblick und plötzlich wirft es sich herum und jagt in eiliger Flucht dahin. Die anderen folgen; weitaus greifen die zierlichen Hufe, hochauf schnellen die federnden Läufe der anmuthigen Thiere. Ueber Busch und Grasbüschel setzen die Behenden dahin und sind gerettet. So naht sich auch das kluge Zebra, so naht sich die Girafe: aber wehe ihnen, wenn sie diese Vorsicht versäumen. Wehe der Girafe, wenn sie mit dem Winde zur umbuschten Lache schreitet; wehe ihr, wenn sie über der Begierde, die heiße, schlaffe Zunge zu kühlen, ihre Sicherheit auch nur einen Augenblick vergißt! Dann wird Freiligraths hochdichterische Beschreibung fast zur vollen Wahrheit:

Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken
Springt der Löwe. Welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken
In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen,
Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürst bestiegen?

In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne,
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne.
Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt;
Sieh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt!

Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füßen!
Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fließen
An dem braun gefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen,
Und das Herz des flücht'gen Thieres hört die stille Wüste klopfen.

Ihrem Zuge folgt der Geier; krächzend schwirrt er durch die Lüfte;
Ihrer Spur folgt die Hiäne, die Entweiherin der Grüfte;
Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberisch verheerte;
Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grausenvolle Fährte.

Zagend auf lebend'gem Throne sehn sie den Gebieter sitzen,
Und mit scharfer Klaue seines Sitzes bunte Polster ritzen.
Rastlos, bis die Kraft ihr schwindet, muß ihn die Girafe tragen;
Gegen einen solchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen.

Ich sage, diese Beschreibung enthält fast die volle Wahrheit! Den Geier muß der Forscher aus ihr streichen; denn er folgt dem Löwen nicht zur Nacht, sondern kommt bloß bei Tage, um die Ueberreste der königlichen Tafel zu beanspruchen. Im übrigen hat der Dichter schwerlich wesentlich übertrieben. Livingstone behauptet freilich, daß es dem Löwen nicht möglich sei, auf den Rücken einer Girafe zu springen oder einen Büffel niederzureißen und unterstützt seine Angabe durch die Erzählung zweier Löwenjäger, welche sahen, wie sich drei Löwen längere Zeit vergeblich abmüheten, einen verwundeten Kafferbüffel niederzureißen: ich aber habe auf dem Aase eines Kameles, welches ein Löwe in der vorhergehenden Nacht niedergeschlagen, Geier erlegt und sehe nicht ein, warum der gewaltige Räuber seine Kraft und Gewandtheit nicht auch an einer Girafe versuchen sollte. Ob es ihm öfters möglich wird, ein solches, Reitpferd zu besteigen , ist allerdings eine andere Frage.
Gewöhnlich erliegt ein von dem Löwen erfaßtes Thier schon dem ersten Angriffe. Die gewaltige Last, welche plötzlich auf seine Schultern fällt, die Todesangst, welche es erfaßt, und die Wunden, welche es im nächsten Augenblicke erhält, verhindern es, noch weit zu laufen. Kraft- und muthlos bricht es zusammen; ein Biß des Löwen genügt, die Halswirbelknochen zu zermalmen, den Nerv des Lebens abzuschneiden. Und der Räuber liegt nun auf seiner Beute, wie ich es schon oben beschrieb, grollend, mit dem Schwanze peitschend, die Augen starr auf sie geheftet, jede Bewegung verfolgend und durch neue Bisse noch das letzte Zucken beendend. Mislingt aber der Sprung, so verfolgt er seinen Raub nicht, sondern kehrt, als echte Katze, fast wie beschämt nach seinem Hinterhalte zurück, Schritt für Schritt, als ob er die rechte Länge abmessen wolle, bei welcher ihm der Sprung gelungen wäre. Nach Livingstone packt er seine Beute gewöhnlich am Halse, sonst aber auch in den Weichen, wo er am liebsten zu fressen beginnt. Zuweilen trifft man auf eine Elandantilope, welche er vollständig ausgeweidet hat.
Ein erbeutetes Thier wird, wenn dies angeht, einem Verstecke zugeschleppt und erst dort gefressen. Die ungeheuere Kraft des königlichen Thieres zeigt sich wohl am besten gerade bei diesem Fortschaffen der Beute. Wenn man bedenkt, was dazu gehören will, mit einem Rinde im Rachen über einen breiten Graben oder über einen hohen Zaun zu setzen, kann man einen richtigen Schluß auf die unglaubliche Stärke des Löwen machen. Erwachsene Büffel und Kamele fortzuschleppen, ist er nicht im Stande, und die Behauptung, daß er fähig wäre, einen Elefanten durch die Gewalt seines Sprunges niederzuwerfen, gehört in das Bereich der Fabel und läßt sich höchstens mit einer Erzählung der Araber vergleichen, welche die Stärke des Löwen zu beweisen sucht. Ein Löwe sprang auf ein zur Tränke gehendes Kamel und suchte es vom Ufer des Flusses weg nach dem Walde zu ziehen. Im gleichen Augenblicke aber schoß ein riesiges Krokodil aus dem Wasser hervor und packte dasselbe Kamel am Halse. Der Löwe zog nach oben, das Krokodil nach unten, keines ließ nach: da riß das Kamel mitten von einander. Ist es nun auch nach meinen eigenen Beobachtungen begründet, daß das Krokodil wirklich einem Stier und also auch einem Kamele den Kopf abreißen kann, so erscheint es doch nicht wahrscheinlich, daß es sich auf ein Kamel stürzt, welches eben von einem Löwen gepackt wird, und so gut als unmöglich, daß die beiden Thiere durch vereinigte Kraft ein Kamel mittendurchzureißen vermöchten. So viel übrigens ist gewiß, daß der Löwe ein Kamel wenigstens ein Stück weit fortzuschleppen sucht. Dies habe ich bei dem Dorfe Melbeß in Kordofân am Morgen nach der Tödtung des bereits erwähnten Kamels selbst gesehen. Das Thier war etwa hundert Schritte weit geschleift worden. Mit einem ein- oder zweijährigen Kalbe soll ein starker Löwe noch im Trabe davonlaufen: Thompson versichert, daß berittene Jäger einen so belasteten Löwen fünf Stunden lang verfolgt hatten, ohne ihn einholen zu können.

Der Löwe zieht größere Thiere den kleineren unbedingt vor, obgleich er diese, wenn er sie haben kann, auch nicht verschmäht. Soll er doch, wie bestimmt versichert wird, bisweilen sogar mit Heuschrecken sich begnügen. Nach Livingstone soll er sich, alt oder krank geworden, auf die Jagd von Mäusen und anderen kleinen Nagern legen. Dies würde als seltene Ausnahme zu betrachten sein; er erscheint auch kaum geeignet, so kleines Wild zu erbeuten. Seine Jagd richtet sich auf [364] große Beute, wie am besten daraus hervorgeht, daß er da am häufigsten auftritt, wo es viel Wild oder zahlreiches Großvieh gibt. Alle Herdenthiere des Menschen, die wilden Zebras, sämmtliche Antilopen sowie die Wildschweine sind und bleiben seine Hauptnahrung. Im Süden Afrika's , bemerkt Mohr, findet er sich nur in solchen Gegenden, in denen Großwild lebt, d.h. Büffel, Quaggas und die großen Antilopenarten vorkommen. Elefanten und Nashörner greift er nie an; dagegen stürzt er sich auf den Kafferbüffel, und zwar keineswegs ohne Erfolg, mindestens nicht ohne erhebliche Schädigung des gewaltigen und wehrhaften Wiederkäuers. Dies bewies mir ein alter Bulle, welchen ich am 15. Juli 1870 erlegte. Ein Löwe hatte kurz vorher einen Angriff auf diesen Steppenriesen gemacht und ihn furchtbar zugerichtet. Beide Ohren waren buchstäblich in Fetzen zerrissen und entsetzlich die Wunden, welche die Klauen des Räubers ihm im Halse und Nacken eingerissen hatten; eines der mächtigen Hörner war abgebrochen und blutete. Dennoch hatte der alte Bursche den Löwen abgeschüttelt. Gewöhnlich frißt dieser bloß selbsterlegte Beute; unter Umständen verschmäht er jedoch auch Aas nicht. Wir trafen , fährt Mohr fort, in der Nähe der Victoriafälle am Mabuebache einen todten Büffel an, welcher bereits zahllose Geier herbeigelockt hatte und Aasgeruch verbreitete. Gegen Mitternacht erschienen unter Gebrüll mehrere Löwen auf dem Aase, und am anderen Morgen fanden wir nur noch Reste desselben vor. John Dunn schoß eines Morgens am Zelinbache neben dem Leichname eines Tages zuvor erlegten Flußpferdes zwei Löwen nieder, und ich traf bei einem Tages zuvor getödteten Nashorn plötzlich auf zwei gemähnte Löwen, welche an dem riesigen Aase sich gütlich gethan hatten. Zu selbsterlegter Beute kehrt der Löwe in der nächstfolgenden Nacht, nicht aber ebenso in der dritten Nacht zurück, würde dann wohl auch vergeblich sich bemühen. Denn gewöhnlich finden sich schon in der Nacht, in welcher die Beute gemacht wurde, eine namhafte Anzahl von Schmarotzern ein, welche die günstige Gelegenheit wahrnehmen, um von des Königs Tafel zu schmausen. Die faule und feige Hiäne und alle eigentlichen Hundearten erachten es für sehr bequem, einen anderen für sich Beute machen zu lassen, und fressen, sobald der Löwe das Mahl verläßt, sich daran toll und voll. Freilich duldet sie der König nicht immer an seinem Tische; es kom men vielmehr, wie bestimmt erwiesen, zuweilen ernste Raufereien vor. So feig auch die Hiänen dem Löwen ausweichen, wenn sie ihm begegnen, so tolldreist werden sie, wenn ihnen ein leckeres Mahl winkt. Einer meiner Jäger im Ostsudân beobachtete einmal bei hellem Tage zwischen einem Löwen und drei Hiänen einen Kampf, welchem eine derartige Ursache zu Grunde liegen mochte. Der Löwe saß nach Hundeart an einer Waldlichtung hart am Flußufer und erwartete mit der größten Seelenruhe drei gefleckte Hiänen, welche knurrend und kläffend ihm mehr und mehr sich näherten. Nach und nach wurden sie immer unverschämter und gingen näher und näher an den Gewaltigen heran. Endlich fiel es einer von ihnen ein, ihm beißend nach der Brust zu fahren. In demselben Augenblicke bekam sie einen Schlag mit der linken Pranke, daß sie augenblicklich auf den Rücken stürzte und wie leblos liegen blieb; die übrigen zogen sich in das Dickicht des Waldes zurück. Livingstone bemerkt, daß die Dreistigkeit eines der königlichen Tafel sich schnüffelnd nahenden Schakals oft mit einem augenblicklich tödtenden Tatzenschlage bestraft werde. Mohr ist zu der Ansicht gekommen, daß Hiänen und Schakals dem Löwen ebenso oft nützen als beeinträchtigen. Obgleich ursprünglich Schmarotzer, verhelfen sie ihm durch Aufnehmen und Verfolgen der Spur verwundeten Wildes wiederum zu mancher Beute. Daß der Löwe ihnen deshalb nicht Dank weiß, braucht besonders nicht erwähnt zu werden.
Andere Beobachter versichern, daß zwischen den Löwen selbst zuweilen aus Futterneid Kämpfe entständen; Anderson will sogar erfahren haben, daß ein männlicher Löwe die von ihm getödtete Löwin zerfleischt und theilweise gefressen habe. Ich halte diese Angabe für unwahr, obgleich ich wiederholt gesehen habe, daß andere große Katzenpaare, namentlich Tiger, durch das bloße Erschauen einer vermeintlichen Beute in hohem Grade erregt wurden und wüthend mit einander kämpften, so friedlich sie auch sonst zusammen lebten.

Den Menschen greift der Löwe äußerst selten an. Die hohe Gestalt eines Mannes scheint ihm Ehrfurcht einzuflößen. Im Sudân wenigstens, wo der Aufruhrerregende in manchen Gegenden häufig auftritt, sind so gut wie keine Fälle bekannt, daß ein Mensch von einem Löwen gefressen worden wäre. Dort fallen den Krokodilen und selbst den Hiänen mehr Menschen zum Opfer als dem Löwen. In Südafrika soll es anders sein; doch fügt man auch hinzu, daß die Kaffern daran hauptsächlich selbst schuld wären. Bei den beständigen Kriegen dieser Völkerschaften geschieht es regelmäßig, daß die oft genug heimtückisch erschlagenen Feinde mitten im Walde liegen bleiben, da, wo sie das tödtliche Geschoß ereilte. Kommt nun der Löwe des Nachts an einen solchen Leichnam, so lange dieser noch frisch ist, so findet er es erklärlicher Weise bequem, an ihm seinen Hunger zu stillen; hat er aber einmal Menschenfleisch gekostet, so erfährt er, daß dasselbe dem anderen doch vorzuziehen sei, und nunmehr wird er ein Mannesser , wie die Kaffern sich auszudrücken pflegen. Diese sind es, welche versichern, daß solche menschenfressende Löwen mitten zwischen die Lagerfeuer stürzen und einen der schlafenden Männer mit sich nehmen. Unter Eingeborenen wie unter Ansiedlern herrscht der Glaube, daß dunkelfarbige Menschen mehr seinen Angriffen ausgesetzt seien als der Weiße.
Man behauptet, der Löwe morde, während er alle von ihm angefallenen Thiere augenblicklich tödte, den Menschen, welchen er überwältigt und unter sich in seinen Krallen hat, nicht alsogleich, sondern versetze ihm erst später und zwar unter fürchterlichem Gebrüll den tödtlichen Schlag mit der Tatze auf die Brust. Livingstone, dessen einfache Berichte durchaus nicht den Stempel der Uebertreibung oder der Lügenhaftigkeit an sich tragen, ist Gewährsmann dieser Angabe. Bei einer Treibjagd, welche er mit den Bewohnern des Dorfes Mabotsa in Ostafrika anstellte, waren die Löwen bald auf einem kleinen, bewaldeten Hügel umstellt. Ich befand mich , so erzählt der muthige Reisende, neben einem eingeborenen Schullehrer, Namens Mebalwe, als ich innerhalb des Jägerkreises einen Löwen gewahrte, welcher auf einem Felsstücke lag. Mebalwe feuerte auf ihn, und die Kugel traf den Felsen. Der Löwe biß auf die getroffene Stelle wie ein Hund in einen Stock, welcher nach ihm geworfen wird. Dann sprang er weg, durchbrach den Kreis und entkam unbeschädigt. Als der Kreis wieder geschlossen war, sahen wir zwei andere Löwen innerhalb desselben, und diese brachen ebenfalls durch. Darauf wandten wir uns nach dem Dorfe zurück. Unterwegs bemerkte ich wiederum einen Löwen auf einem Felsen, aber diesmal hatte er einen kleinen Busch vor sich. Da ich etwa dreißig Yards entfernt war, zielte ich gut auf seinen Körper hinter dem Busche und feuerte beide Läufe ab. Er ist getroffen! riefen einige der Leute und wollten zu ihm laufen. Ich sah den Schweif des Löwen hinter dem Busche emporgerichtet und rief den Leuten zu: Wartet, bis ich wieder geladen habe! Als ich die Kugeln hinunterstieß, hörte ich einen Schrei und gewahrte den Löwen gerade im Begriffe, auf mich zu springen. Er packte im Sprunge meine Schulter, und wir fielen beide zusammen zu Boden. Schrecklich neben meinem Ohre knurrend, schüttelte er mich, wie ein Dachshund eine Ratte schüttelt. Diese Erschütterung brachte eine Betäubung hervor; ich fühlte weder Schmerz noch Angst, obgleich ich mir alles dessen, was vorging, bewußt war. Ich suchte mich von der Last zu befreien und bemerkte, daß seine Augen auf Mebalwe gerichtet waren, welcher auf ihn zu schießen versuchte. Sein Gewehr versagte mit beiden Läufen. Der Löwe verließ mich augenblicklich und packte Mebalwe am Schenkel. Ein anderer Mann, dem ich früher das Leben gerettet hatte, als er von einem Büffel gestoßen wurde, versuchte, den Löwen mit dem Spieße zu treffen, während derselbe Mebalwe biß. Er verließ letzteren und packte diesen Mann bei der Schulter; aber in dem Augenblicke beendeten die zwei Kugeln, welche er bekommen hatte, ihre Wirksamkeit, und er fiel todt nieder. Das Ganze war das Werk weniger Minuten. Er hatte den Knochen meines Oberarms zerbissen, und mein Arm blutete aus elf Wunden, welche aussahen, als wenn Flintenkugeln eingedrungen wären. Beim Heilen wurde der Arm krumm. Meine zwei Kampfgenossen haben viele Schmerzen an ihren Wunden gelitten, und die an der Schulter des einen brachen genau nach einem Jahre wieder auf.

Fritsch erzählt etwas ähnliches. Ein von einem Löwen furchtbar zerfleischter Bakalahari , wegen dessen man sich die ärztliche Hülfe unseres Reisenden erbat, war mit mehreren anderen durch das Gebüsch gegangen, als plötzlich zwei Löwen über ihn herfielen, von denen jeder eine Schulter erfaßte; der Mann wurde zu Boden geworfen, während die Kameraden davonliefen. Auf sein erbärmliches Geschrei ließen ihn die feigen Raubthiere los und zogen sich etwas zurück. Thörichter Weise versuchte das Opfer sich aufzurichten und zu entfliehen, infolge dessen die Löwen sofort wieder auf ihn einstürzten und ihn aufs neue zu Boden rissen, wo er besinnungslos liegen blieb und endlich von den herankommenden Gefährten aufgenommen wurde. Als Fritsch den Verunglückten sah, waren bereits mehrere Wochen vergangen und die zahlreichen Wunden (gegen dreißig), welche die Zähne und Klauen gerissen hatten, befanden sich in verhältnismäßig gutem Zustande.
Ich habe nach allen im Sudân erhaltenen Nachrichten Ursache, daran zu zweifeln, daß sich der Löwe jedesmal vor seinem Angriffe in einer Entfernung von etwa drei oder vier Meter niederlege, um den Sprung abzumessen. Die Araber jener Gegenden versichern, daß der Mensch, welcher einen ruhenden Löwen treffe, denselben durch einen einzigen Steinwurf verscheuchen könne, falls er Muth genug habe, auf ihn loszugehen. Wer dagegen entfliehe, sei unrettbar verloren. Zweimal , so sagen sie, weicht jeder Löwe dem Manne aus, weil er weiß, daß dieser das Ebenbild Gottes des Allbarmherzigen ist, den auch er, als ein gerechtes Thier, in Demuth anerkennt. Frevelt jedoch der Mensch gegen die Gebote des Erhaltenden, welche bestimmen, daß Niemand sein Leben tollkühn wage, und geht er dem Löwen zum dritten Male entgegen, so muß er sein Leben lassen.
Daß die Löwen vor dem Menschen wirklich zurückweichen, sagen fast alle glaubwürdigen Beobachter. Ein Landmann, mit Namen Kock , so berichtet Sparrman in seiner Reise nach Südafrika, stieß bei einem Spaziergange auf einen Löwen. Er legte auf ihn an, fehlte ihn aber und wurde von ihm verfolgt. Als er außer Athem war, kletterte er auf einen Steinhaufen und hob den Flintenkolben hoch in die Höhe. Der Löwe legte sich auf zwanzig Schritte vor ihm hin; nach einer halben Stunde aber stand er auf, ging anfangs Schritt für Schritt zurück, als wenn er sich fortstehlen wollte, und erst als er ein Stück weit war, fing er an, aus allen Kräften zu laufen. Man behauptet, daß er selbst dann, nachdem er schon zum Sprunge sich niedergelegt, nicht wage, denselben auszuführen, wenn ihm der Mensch unbeweglich ins Auge sieht. Falls er den leichten Kampf mit einem Manne nicht schon einmal versucht hat, flößt ihm die hohe Gestalt desselben Furcht und Mistrauen in seine eigene Stärke ein, und eine ruhige Haltung des Körpers, ein muthiges Auge kräftigt diesen Eindruck mit jedem Augenblicke. Seine Flucht vor dem ruhig dastehenden Menschen ist ein Beweis, daß er ebenso sich gefürchtet hat wie jener sich vor ihm. Wenn man in Südafrika einem Löwen begegnet, bemerkt Livingstone, bleibt dieser einige Augenblicke stehen, um den Menschen sich anzusehen, macht dann langsam Kehrt, legt einige Dutzend Schritte gemächlich zurück, einmal um das anderemal zurückblickend, beginnt sodann zu traben und flieht endlich mit Sprüngen wie ein Windhund dahin. Daß diese Angaben wahrheitsgetreu sind, erfuhr Fritsch beim Durchreiten eines Buschwaldes. Ein Thier sprang dicht neben unserem Forscher und seinem Freunde auf, wurde von letzterem für ein Eland angesehen und von beiden eifrig verfolgt. Wir hatten , schildert Fritsch, das Wild im Dickicht für einige Zeit aus den Augen verloren, als M'Cabe plötzlich, um einen Busch biegend, sein Pferd zurückriß und umkehrend den Schreckensruf ausstieß: Bei Gott, es ist ein Löwe! Im nächsten Augenblicke waren der Mochuane und ich selbst vom Pferde gesprungen, bereit, dem Löwen die Spitze zu bieten, welcher, der Jagd müde, stehen geblieben war und sich drohend umwandte. Der Schwarze ließ sich in seinem Eifer nicht zurückhalten und sandte, bevor ich feuern konnte, dem Raubthiere eine Kugel zu. Leider schoß er zu hoch, und der Löwe verschwand, von dem Schusse erschreckt, sofort in den Büschen.

Anders ist es freilich, wenn der Löwe schon mehrmals mit Menschen gekämpft hat, oder wenn er sehr hungrig ist. Es kommt wirklich vor, daß er einen Menschen mit großer Hartnäckigkeit verfolgt. Am Kamiesberge im Lande der Namaken , erzählt Barrow, wollte ein Hottentott eine Herde Rindvieh zum Wasser treiben, als er einen Löwen erblickte. Er floh mitten durch die Herde, in der Hoffnung, daß der Löwe eher ein Stück Vieh ergreifen als ihm nacheilen würde. Doch er irrte. Der Löwe brach durch die Herde und folgte dem Hottentotten, welcher jedoch noch so glücklich war, auf einen Alo baum zu klettern und sich hier hinter einen Haufen Nester des Sidelsperlings (Philetaerus socius) zu verstecken. Der Löwe that einen Sprung nach ihm hinauf, verfehlte jedoch, sank zurück und fiel zu Boden. In mürrischem Schweigen ging er um den Baum, warf dann und wann einen schrecklichen Blick hinauf, legte sich endlich nieder und ging nun vierundzwanzig Stunden nicht von der Stelle. Endlich kehrte er zur Quelle zurück, um seinen Durst zu stillen. Der Hottentott stieg herunter und lief nach seinem Hause, welches nur eine Viertelmeile entfernt war. Der Löwe folgte ihm aber und kehrte erst dreihundert Schritte vor dem Hause um.
Unter allen Umständen bleibt es mislich, vor dem Löwen zu fliehen, denn er ist schnell genug zu Fuße. Man hat beobachtet, daß er verwegene Jäger fast eingeholt hätte, obgleich sie auf guten Jagdpferden saßen. Wer bei einem Zusammentreffen mit dem Löwen Herz genug hat, ruhig stehen zu bleiben, den greift er so leicht nicht an. Aber zu einem solchen Wagstücke gehört ein besonnener Mannesmuth, welcher eben nicht jedem gegeben ist.
Beachtenswerth erscheint, daß der Löwe, wie viele Beobachtungen dargethan haben, auch Kinder selten angreift. Man kennt Beispiele, daß das furchtbare Raubthier an die Häuser heran kam, ohne dort irgend Jemandem etwas zu Leide zu thun. Lichtenstein verbürgt einen solchen Fall. Bei Rietrivierspoort kamen wir an die Wohnung eines gewissen van Wyck. Indessen wir unser Vieh ein wenig weiden ließen und in der Thüre des Hauses den Schatten suchten, begann van Wyck folgendermaßen: Es ist etwas über zwei Jahre, daß ich auf der Stelle, wo wir hier stehen, einen schweren Schuß gewagt habe. Hier im Hause, neben der Thüre, saß meine Frau. Die Kinder spielten neben ihr, und ich war draußen zur Seite des Hauses an meinem Wagen beschäftigt, als plötzlich am hellen Tage ein großer Löwe erschien und ruhig auf der Schwelle in den Schatten sich legte. Die Frau, vor Schrecken erstarrt und mit der Gefahr des Fliehens bekannt, blieb auf ihrem Platze, die Kinder flohen in ihren Schoß. Ihr Geschrei machte mich aufmerksam; ich eilte nach der Thüre, und man denke sich mein Erstaunen, als ich den Zugang auf diese Weise versperrt sah. Obgleich das Thier mich nicht gesehen hatte, so schien doch, unbewaffnet, wie ich war, alle Rettung unmöglich. Doch bewegte ich mich fast unwillkürlich nach der Seite des Hauses zu dem Fenster des Zimmers, in welchem mein geladenes Gewehr stand. Glücklicherweise hatte ich es zufällig in die nächste Ecke gestellt und konnte es mit der Hand erreichen, denn zum Hereinsteigen ist, wie Sie sehen, die Oeffnung zu klein, und zu noch größerem Glücke war die Thüre des Zimmers offen, so daß ich die drohende Scene ganz zu übersehen im Stande war. Jetzt machte der Löwe eine Bewegung, es war vielleicht zum Sprunge; da besann ich mich nicht länger, rief der Mutter leise Trost zu und schoß hart an den Locken meines Knaben vorbei den Löwen über den funkelnden Augen in die Stirn, daß er weiter nicht sich regte.

Wenn man auch annehmen will, daß dieser Löwe ganz satt gewesen sei, als er an jenes Haus herankam, darf man doch nicht vergessen, daß andere Katzenarten in ähnlichen Fällen ihrer Mordlust selten widerstehen können, und dies würde die althergebrachte Annahme vom Edelmuthe des Löwen unterstützen. Livingstone und andere Reisende wollen ihm allerdings Größe des Charakters nicht zugestehen, ihm vielmehr nur die Eigenschaften aller Katzen überhaupt zuschreiben; ich aber möchte nach meinen eigenen Erfahrungen doch nicht solcher Herabsetzung des Wesens dieses königlichen Thieres beistimmen.
Die Ehrfurcht einflößende Gestalt des Löwen, seine gewaltige Kraft, sein kühner Muth ist von jeher anerkannt und bewundert worden. Und wenn nun auch die Bewunderung oft das rechte Maß überschritten und dem Löwen Eigenschaften angedichtet hat, welche er wirklich nicht besitzt: gänzlich ungerechtfertigt ist sie nicht. Der Löwe erscheint neben den übrigen Katzen und selbst neben den meisten wilden Hundearten stolz, großmüthig und edel. Er ist bloß dann ein Räuber, wenn er es sein muß, und nur dann ein Wütherich, wenn er selbst zum Kampfe auf Leben und Tod herausgefordert wird. Man hat Unrecht, wenn man behauptet, daß das Stolze und Edle seines Ausdrucks nichts anderes als ernste und besonnene Ueberlegung sei , und mit diesen Worten der allgemeinen Auffassung der Löwenseele, welche Andere ausgesprochen haben, entgegentreten will. In den von den geachtetsten Naturforschern dem Löwen zuerkannten Eigenschaften liegt meiner Ansicht nach Adel genug. Und wer den Löwen näher kennen lernte, wer, wie ich, jahrelang tagtäglich mit einem gefangenen verkehrte, dem wird es ergehen, wie mir es erging. Er wird ihn lieben und achten, wie nur jemals der Mensch ein Thier lieben und achten kann. Ich will weiter unten von meinem Lieblingsthiere, einer gefangenen Löwin, erzählen, welche mir manche Stunde versüßt und erheitert hat, und zunächst nur bemerken, daß ich mich hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten des Löwen zu der Ansicht von Scheitlin hinneige. Dieser möge selbst sprechen:
Wer will des Löwen, des Helden, des Königsthieres Seele beschreiben! Welch ein Thier voll des kräftigsten Selbstbewußtseins! Welche Gestalt! Welche Majestät! Welcher Körper! Welche Brust! Welcher Leib! Welch ein Anblick der sechshundert Löwen, die Pompejus aus Afrika zu einem großen Römerspiele vorführte, und welch ein Ueberfall von einer Herde Löwen in das Heer des Xerxes!

Der Löwe wird vollkommen so zahm wie ein guter Pudel. Sein Gedächtnis ist wie das eines solchen. Er erkennt nach vielen Jahren ehemalige Wärter augenblicklich, und kennt er ihr Gesicht und ihren Blick nicht mehr, so erkennt er doch schnell und sogleich ihr Wort, ihren Ton, die alte, geliebte Stimme, wie auch der Mensch alte Bekannte länger an der Stimme als an dem Aussehen erkennt. Besonders gut ist sein Gedächtnis für Wohlthaten, wodurch er das alte Sprichwort der Menschen: Undank ist der Welt Lohn , zur Unwahrheit macht; denn der Löwe gehört, wie wir, zur Welt. Die Erzählung des Cälius von dem Löwen und Androklus hat gar nichts unwahrscheinliches an sich, obgleich man sie unwahr machen wollte. Man nennt den Löwen den Großmüthigen; doch will man etwa seine Großmuth heruntersetzen: kleine Schwache schonen und ihnen Fehler verzeihen, ja nach Fehlern wohlthun, heißt großmüthig sein. Solches kann der Löwe, wenn nicht jeder, so doch der vortrefflichere. Man sagt, wahrer Großmuth sei nur der Mensch fähig. Daß diese wahre Großmuth, deren manche Menschen fähig sind, höher steht als die der edelsten Löwen, versteht sich sowohl von selbst, wie es sich von selbst versteht, daß die des Löwen höher steht als die des Marders, falls dieser etwas von dieser Tugend hätte. Noch wird gesagt, daß dem Löwen doch nicht zu trauen sei und er unerwartet seine Katzennatur hervorbrechen lasse. Unleugbar hat der Löwe Launen. Tiefere Thiere haben keine, wohl aber die höheren. Solche haben selbst die Menschen, die Kinder alle, nur wenig Männer nicht. Nur sind die Launen der Könige und des Starken gefährlich, die der Schwachen verlacht man. Eitel ist der Löwe nicht, und zu Künsten läßt er sich nicht abrichten. Er ist zu stolz und zu ernst. Er will nur, wann und wie er will. So sind die Königsnaturen. Er wäre verständig und gelehrig genug zur Abrichtung; er wäre zum Lernen ganz in Besitz der Zeit- und Raumkenntnisse und deren Maße; denn er mißt, wenn er lauert, vollkommen genau: aber er thut Niemandem etwas zu Gefallen. Man bezichtigt ihn auch der Feigheit. Feigheit und Löwe passen nie zusammen. Ernste sind nie feig, und wenn der Löwe dem Menschen weicht, so ist es nicht Feigheit. Er fürchtet nichts und muß nichts fürchten. Selbst in der Gefangenschaft benimmt er sich edler als der Tiger und andere Katzen.

Löwe und Löwin mögen das muntere, liebende Necken, wie Hunde und Katzen, wohl leiden. Es macht ihnen kleinen Spaß, den sie lieben. Auch liebkosen und streicheln lassen sie sich gern wie alle vollkommeneren Thiere. Zupft man den Löwen am Barte, so macht er Geberden und Blicke wie die Katzen. Wir haben unzählige Bilder von Löwen, doch noch kein vollkommenes. Seine ernste Seele hat noch kein Künstler befriedigend dargestellt. Das Bild eines Schmetterlings ist leicht [369] wiederzugeben, das eines Löwen ist vielleicht unmöglich. Gerade dies deutet auf seine hohe Stellung. Gewiß hat auch der Schmetterling seine Physiognomie, nur entgeht sie uns. Der Löwe muß in solcher Seelensphäre ganz wie der Mensch in der seinigen behandelt werden. Er ist ein Menschenthier, so gewiß es unter den Menschen noch Thiermenschen gibt.
Ich gebe zu, daß diese Beschreibung fast allzuviel von der großen Liebe Scheitlins zu den Thieren athmet und hier und da mit der trockenen Auffassung der zergliedernden Thierkundigen nicht übereinstimmen mag: im großen ganzen aber ist sie richtig, und Jeder, welcher den Löwen kennt, wird dies zugestehen müssen.
Die Zeit, in welcher sich der Löwe zu der Löwin findet, ist sehr verschieden nach den Gegenden, welche er bewohnt; denn die Wurfzeit hängt mit dem Frühling zusammen. Zur Zeit der Paarung folgen oft zehn bis zwölf männliche Löwen einer Löwin, und es gibt auch unter ihnen viel Kampf und Streit um die Liebe. Hat jedoch die Löwin ihren Gatten einmal sich erwählt, so ziehen die anderen ab, und beide leben nun treu zusammen. Die Brunst ist zwar minder heftig als bei anderen großen Katzen; die Begattung erfolgt jedoch ebenfalls unzählige Male nacheinander: nach den Beobachtungen meines Berufsgenossen Schöpff begattete sich ein Löwenpaar des Dresdener Thiergartens innerhalb acht Tagen dreihundertundsechszig Male. Der männliche Löwe bewahrt auch während der Brunst seine Würde und Ruhe; die Löwin zeigt sich begehrender. Sie ist es, welche schmeichelnd und liebkosend an den ernsten Gemahl heranzukommen pflegt und ihn aufzufordern scheint; er liegt gewöhnlich ruhig ihr gegenüber, die Augen starr auf sie gerichtet, und erhebt sich erst, wenn sie ihm sich naht. Die Begattung selbst erfolgt, indem die Löwin sich niederlegt und der Löwe sie übertritt und im Nacken packt. Ohne einiges Knurren und Fauchen von ihrer Seite geht es nicht ab; so toll und wüthend wie andere große Katzen aber geberdet sie sich nicht, theilt namentlich nicht so oft Tatzenschläge aus wie jene. Fünfzehn bis sechszehn Wochen oder hundert bis hundertundacht Tage nach der Begattung wirft die Löwin ein bis sechs, gewöhnlich aber nur zwei bis drei Junge. Die Thiere kommen mit offenen Augen zur Welt und haben, wenn sie geboren werden, etwa die Größe von einer halb erwachsenen Katze. Zu ihrem Wochenbette sucht sich die Mutter gern ein Dickicht in möglichst großer Nähe von einem Tränkplatze, um nicht weit gehen zu müssen, wenn sie Beute machen will. Der Löwe soll ihr Nahrung herbeischaffen helfen und sie und ihre Jungen, wenn es Noth thut, mit eigener Aufopferung schützen. Die Löwin behandelt die Jungen gewöhnlich mit großer Zärtlichkeit, und man kann wohl kaum ein schöneres Schauspiel sich denken als eine Löwenmutter mit ihren Kindern. Die kleinen, allerliebsten Thierchen spielen wie muntere Kätzchen mit einander, und die Mutter sieht ernsthaft zwar, aber doch mit unendlichem Vergnügen diesen kindlichen Spielen zu. Man hat dies in der Gefangenschaft oft beobachtet, weil es gar nichts seltenes ist, daß eine Löwin hier Junge wirft. In einem gut eingerichteten und geleiteten Thiergarten züchtet man gegenwärtig Löwen fast ebenso sicher und regelmäßig wie Hunde; selbst in Thierschaubuden, wo die Thiere bekanntlich einen nur sehr geringen Spielraum zur Bewegung haben und oft nicht einmal genügende Nahrung erhalten, werden solche geboren und großgezogen.

Der glücklichste Löwenzüchter der Jetztzeit ist, so viel mir bekannt, der Vorsteher des Dresdener Thiergartens, Schöpff. Eine von ihm gepflegte Löwin gebar binnen zwei Jahren acht, eine zweite im Laufe von sieben Jahren dreiundzwanzig Junge. Jene säugte ihre Kinder nicht, diese fraß zwar einige auf, behandelte die übrigen aber mit Liebe und Sorgfalt. Einmal wurden sechs, dreimal vier, ebenso oft drei und zweimal zwei Junge geboren. Aus den glücklich großgezogenen Jungen hat Schöpff über siebentausend Thaler erlöst und den Thiergarten außerdem noch um mehrere Löwen und Löwinnen im Werthe von dreitausend Thalern bereichert, würde aber wahrscheinlich noch bessere Erfolge erzielt haben, wäre er nicht wiederholt durch Eingriffe seitens einzelner Verwaltungsräthe des Thiergartens, welche beweisen wollten, daß Wohlhabenheit oder Reichthum auch ohne jegliches Verständnis zu höherer Weisheit befähigt, gehindert und ein glückliches Gelingen der Löwenzucht, welche von dem Pfleger genaue Kenntnis der Thiere und Erfahrung verlangt, dadurch vereitelt worden. Mehrere Löwen wurden von Schöpff mittels einer Saugflasche genährt und zwei von ihnen großgezogen, andere, nachdem die Mutter sie vernachlässigt, Hündinnen in die Pflege gegeben und von diesen auch ohne sonderliche Umstände an Kindesstatt angenommen. In diesem Falle bildete sich zwischen Pflegemutter und Pflegekind ein Verhältnis gegenseitiger Liebe und Anhänglichkeit, welches auch nach der Geburt von Pflegegeschwistern seitens des Löwenpfleglings aufrecht erhalten wurde. Die junge Löwin, das Pflegekind, und die Hündin, die Pflegemutter, waren vor der Geburt der jungen Hunde durch ein Gitter getrennt worden. Ich ließ , so berichtet Schöpff, die Löwin am Tage nach der Geburt ihrer Pflegegeschwister zu der Pflegemutter, welche hierüber nicht nur keinen Aerger zeigte, sondern die Löwin liebkoste, wie diese ihrerseits die kleinen Hunde leckte. Dies wiederholte ich öfters, auch nachdem die Hündchen bereits fünf Wochen alt waren, und trotzdem sie die Löwin, welche sie für ihre Mutter halten mochten, oft empfindlich zupften, wenn sie das Gesäuge suchten. Um zu sehen, ob die Löwin wohl einen Unterschied zwischen Hund und Hund machen würde, hielt ich ihr einen ebenso großen, auch ähnlich aussehenden jungen Hund vor. Sofort ging sie grimmig auf diesen los, und ich mußte ihn, um ihn zu retten, schleunigst entfernen. Ein ihr vorgehaltenes Kaninchen wurde ohne weiteres von ihr gepackt, zerrissen und mit Haut und Haar verzehrt. Fortgesetzte Versuche ergaben, daß es nur in seltenen Fällen gelingt, einen jungen Löwen mittels der Saugflasche groß zu ziehen oder durch eine säugende Hündin erziehen zu lassen, während dies, wenn die Mutter selbst ihrer Kinder sich annimmt, kaum besondere Schwierigkeiten hat. Auch in den Thiergärten zu Köln, Breslau und Berlin, von außerdeutschen abgesehen, werden neuerdings regelmäßig Löwen gezüchtet.

Junge Löwen sind in der ersten Zeit ziemlich unbeholfen. Sie lernen erst im zweiten Monat ihres Lebens gehen und beginnen noch später ihre kindlichen Spiele. Anfangs miauen sie ganz wie die Katzen, später wird ihre Stimme stärker und voller. Bei ihren Spielen zeigen sie sich tölpisch und plump; aber die Gewandtheit kommt mit der Zeit. Nach etwa sechs Monaten werden sie entwöhnt; schon vorher folgen sie ihrer Mutter, beziehentlich beiden Eltern, wenn auch nur auf geringe Strecken hin, bei ihren Ausflügen. Gegen Ende des ersten Jahres haben sie die Größe eines starken Hundes erreicht. Anfänglich gleichen sich beide Geschlechter vollkommen; bald aber zeigt sich der Unterschied zwischen Männchen und Weibchen in den stärkeren und kräftigeren Formen, welche sich bei ersterem ausprägen. Gegen das dritte Jahr hin machen sich die Anfänge der Mähne bei dem Männchen bemerklich; doch erst im sechsten oder siebenten Jahre sind beide vollkommen erwachsen und ausgefärbt. Das Alter, welches sie erreichen, steht im Verhältnis zu diesem langsamen Wachsthum. Man kennt Fälle, daß Löwen sogar in der Gefangenschaft siebenzig Jahre gelebt haben, obwohl sie dort auch bei der besten Pflege ziemlich bald greisenhaft werden und viel an ihrer Schönheit verlieren.

Es wird wohl Niemand Wunder nehmen, daß der Eingeborene Afrika's den Löwen in hohem Grade fürchtet und ihn mit allen Mitteln zu vertilgen sucht, welche er in seiner Macht hat. So schlimm, als man es sich bei uns vorstellt, ist jedoch die Furcht vor dem Löwen nicht. Man begegnet dem Gewaltigen da, wo er ständig vorkommt, auch keineswegs alltäglich. Er bricht nicht einmal tagtäglich in die Hürden ein, sondern sucht sich auch im freien, großen Walde seine Nahrung; ja er wird durch seine Jagden einzelnen Volksstämmen sogar nützlich. Die Buschmänner , schließt Mohr, verdanken den nächtlichen Jagdzügen des Löwen oft ein saftiges Mahl. Ist des Nachts das Gebrüll des Raubthieres besonders lebhaft gewesen, und vermuthen sie, daß Großwild geschlagen wurde, so durchspüren sie früh am Morgen die Umgegend und eilen nach der Stelle, welcher die Geier zufliegen. Hier fallen ihnen oft noch bessere Beutestücke als saftige Markknochen, halbe Antilopen, Girafen und Büffel in die Hände, welche der Löwe für sie erjagte. Meinen schwarzen Begleitern wurde so zweimal ein saftiges Mahl zu Theil. Aehnlich verhält es sich wohl überall, wo der Mensch nicht Viehzucht betreibt.

Aber auch manche Innerafrikaner, beispielsweise die Mensa, klagen wenig über die Verluste, welche sie durch den Löwen erleiden. Man spricht wohl von seinen Raubthaten, aber kaum mit Entrüstung über die Einbuße an Vieh, welche man erlitten hat oder zu erleiden fürchtet, nimmt diese vielmehr als eine Schickung, als etwas unvermeidliches hin. Ansiedler europäischer Abkunft haben andere Begriffe von dem Werthe des Eigenthums als die harmlosen Afrikaner. Nach der Berechnung Jules Gerards verursachten im Jahre 1855 etwa dreißig Löwen, welche sich in der Provinz Constantine aufhielten, allein an Hausthieren einen Schaden von 45,000 Thalern unseres Geldes: ein einziger Löwe verbraucht demnach für 1500 Thaler Vieh zu seiner Nahrung. Im Jahre 1856 zu 1857 sollen sich nach demselben Berichterstatter in Bona allein sechszig Löwen aufgehalten und zehntausend Stück großes und kleines Vieh gefressen haben. Im Inneren Afrika's ist der Schaden verhältnismäßig ein weit geringerer, weil die Viehzucht, welche den einzigen Erwerb der Bewohner bildet, in ganz anderer Ausdehnung betrieben wird als in den Ländern, in denen der Ackerbau die Grundlage des volklichen Bestehens bildet. Gleichwohl wird er noch immer empfindlich genug, und der arme Mittelafrikaner möchte manchmal verzweifeln über die Verwüstungen, welche der Löwe anrichtet. In seiner kindlichen Anschauung rechnet er gewöhnlich auf Hülfe von oben und wendet sich deshalb an die Vermittler zwischen ihm und seinem Gotte: an die Geistlichen. Von diesen erkauft er für schweres Geld einen Hedjâb oder ein Schriftstück, in welchem der Verfasser desselben die kräftig kernigen Worte des Khorân irgendwie gemisbraucht und mit seinen Zuthaten verwässert hat, wie es eben jener Pfaffen Weise ist. Dieser Schutzbrief wird vorn an der Ser ba angebunden, und man lebt, im Sudân wenigstens, allgemein in dem guten Glauben, daß der Löwe, welcher als ein gerechtes Thier vor den Augen des Herrn angesehen wird, so viel Ehrfurcht vor den Worten des Gottgesandten, Mahammed, an den Tag legen werde, um von ferneren Besuchen einer derartig geschützten Hürde abzustehen. Wie wenig dies der Fall ist, sieht man alle Jahre unzählige Male. Allein die dortigen Fak e wissen die Hohlheit ihrer Behauptungen ebenso gut zu bemänteln wie die Pfaffen anderwärts, und die Demuth und Ungebildetheit der Sudânesen macht es ihnen leicht, dann doch noch immer wieder Glauben zu finden, wenn jene auch den schändlichsten Betrug ausüben sollten. Auf das Erkaufen solcher Schutzbriefe beschränkt sich fast im ganzen Ostsudân die Abwehr, welche der mahammedanische Afrikaner für nöthig erachtet. Die heidnischen Neger und die Kaffern sind freilich gescheiter und sehen ein, daß einem Löwen gegenüber ein muthiger Manneskampf mehr ausrichtet als jeder Misbrauch mit des Propheten Wort. Sie bedienen sich vor allem ihrer giftigen Pfeile und, wenn es Noth thut, auch ihrer Lanzen, um den Löwen zu erlegen.
Während meiner Anwesenheit in Südnubien fand ein höchst merkwürdiger Jagdkampf mit einem Löwen bei Berber oder Much iref statt. Das königliche Thier hatte in der Nähe der Stadt die ganze Gegend unsicher gemacht und wochenlang Rinder und Schafe aus den nächstgelegenen Dörfern und Ser bas geraubt. Endlich wurde es den Nubiern doch zu toll, und sie beschlossen, einen großen Jagdzug auszuführen. Vier muthige Morharb e oder Marokkaner, welche mit Feuergewehren bewaffnet waren, vereinigten sich mit zwölf Nubiern, deren Bewaffnung in Lanzen bestand, und zogen eines schönen Morgens nach dem Dickicht des Urwaldes hinaus, in welchem das Raubthier regelmäßig sich zu verstecken pflegte, wenn es Beute gemacht hatte. Man rückte ohne weiteres auf das Lager des Löwen los, trieb ihn auf, und als er sich verwundert über den Morgenbesuch ruhig den Leuten gegenüber stellte, feuerten die vier Morharb e zu gleicher Zeit ihre Gewehre ab. Ein Hagel von Lanzen folgte einen Augenblick später. Der Löwe ward an mehreren Stellen, jedoch nirgends tödtlich verwundet, stürzte sich deshalb auch sofort auf seine Angreifer. Zufälligerweise bewahrte er dabei eine merkwürdige Mäßigung. Er brachte zunächst dem einen einen Tatzenschlag bei, welcher diesen gräßlich verwundete und zu Boden warf. Dann blieb er stehen; ein zweiter nahte sich mit einer frischen Lanze und erhielt, noch ehe er diese anwenden konnte, einen ähnlichen Willkommen. Die übrigen dachten schon an die feige Flucht und würden [372] ihre Gefährten dem nach und nach immer mehr wüthenden Löwen überantwortet haben, wenn nicht ein junger Mensch alle Anderen beschämt hätte. Er führte außer seiner Lanze noch einen starken und langen Stock, Nab t genannt, bei sich und nahte sich mit dieser Waffe tolldreist dem Löwen. Dieser staunte ihn an, bekam aber, eh er es sich versah, einen so gewaltigen Schlag in die Augengegend, daß ihm Hören und Sehen verging und er unter der Wucht des Schlages zu Boden stürzte. Jetzt hatte der kühne Gesell freilich gesiegt: er schlug so lange auf den Löwen los, bis dieser nicht mehr sich regte.

Ich selbst bin mehrere Male von den Eingeborenen aufgefordert worden, ihnen einen Löwen wegzuschießen, welcher in der Nacht vorher in ihrer Ser ba geraubt hatte und, wie anzunehmen, regungslos und faul im Schatten lag, um zu verdauen. Selbstverständlich brannte ich vor Jagdbegierde und würde auch ganz entschieden diese Jagd ausgeführt haben, hätte mich nur ein einziger meiner Gefährten begleiten wollen. Bei denen war jedoch alles Zureden vergebens, weil ihre Furcht zu tief eingewurzelt. Nicht einmal meine europäischen Genossen wollten das Wagstück mit unternehmen helfen. Allein aber zum ersten Male auf eine Löwenjagd zu gehen, wäre doch tollkühn gewesen, und so mußte ich zu meinem innigen Bedauern die günstige Gelegenheit vorübergehen lassen, meine Jagden mit der edelsten aller zu krönen.
Auf meinem letzten Jagdausfluge nach Habesch hatte ich Unglück. Van Arkel d'Ablaing und ich entdeckten bei hellem Tage in der Samchara, dem Wüstenstreifen an der Westküste des südlichen Rothen Meeres, einen Löwen, welcher von einem Hügel aus Umschau über sein Jagdgebiet hielt. Sofort machten wir Anstalt, den königlichen Recken von der Güte unserer Büchsen einen Beweis zu geben. Zur Aushülfe luden wir noch beide Läufe unserer Doppelgewehre mit Kugeln, gaben diese unseren beiden Dienern gespannt in die Hand und befahlen ihnen, dicht neben uns her zu gehen. Unter Beobachtung aller Jagdregeln nahten wir uns dem Hügel. Van Arkel, welcher sich zum ersten Male zu solcher Jagd anschickte, zeigte einen so kühlen Mannesmuth, daß mir das Herz vor Stolz und Freude schwoll; unsere afrikanischen Diener zitterten wie Espenlaub. Wir nahten uns langsam und höchst vorsichtig, weil die Oertlichkeit eine mehr als wünschenswerthe Annäherung bedingte. Wie Katzen schlichen wir an dem Hügel hinauf, die Büchsen erhoben, den Finger am Drücker. Das Jagdfeuer wollte fast übermächtig werden. Wir hatten uns aber umsonst gefreut der edle Recke hatte feig den Platz verlassen und wahrscheinlich in dem nächsten, uns undurchdringlichen Buschdickicht eine Zuflucht gefunden.
Eine südafrikanische Löwenjagd schildert Fritsch. Drei junge Leute trafen in der Nähe von Shoshong, einer Mission im Inneren Südafrika's, mit zwei ganz außerordentlich kühnen und wüthenden Löwen zusammen. Acht der Ochsen brachen am Abend, durch die Raubthiere erschreckt, los; die Leute gingen ihnen sofort nach, als aber die Löwen sich gegen sie wendeten, liefen sie schleunigst zurück, und der Führer der Gesellschaft hielt nach seiner eigenen Aussage nicht eher an, als bis er über die Deichsel seines Wagens fiel.

Am Morgen fanden sie einen der Ochsen in der Nähe liegen, erschlagen von den Löwen, und da es sicher war, daß dieselben in der folgenden Nacht zu dem Aase zurückkehren würden, stellte man bei letzterem sowie bei einem zufällig gerade gestorbenen Pferde Gewehre. Dies geschieht so, daß man den Leichnam in geringer Entfernung mit einem Dornenkrâl umgibt und nur eine Oeffnung übrig läßt, gegen die in angemessener Höhe ein Gewehr gerichtet wird, welches durch die Berührung eines dünnen, quer über den Eingang gespannten Strickes losgeht.
Beide Gewehre entluden sich, und es fanden sich am anderen Tage starke Blutspuren bei denselben; das eine war aber in mehrere Stücke zerbrochen, welche deutlich Spuren der Zähne und Klauen des Löwen trugen. Zu ihrem Schrecken sah indessen die Gesellschaft das eine der Raubthiere am hellen Tage in der Nähe des Wagens wieder auftauchen, und die Herren hatten solche Achtung vor den ungebetenen Gästen bekommen, daß sie nicht wagten, einen Ausfall gegen den Belagerer zu unternehmen. Zeigte dieser sich auf der linken Seite des Wagens, so ließen sie ihre übrigen sechs Ochsen rechts weiden, worauf der Löwe in großen Bögen derselben Gegend zuzukriechen pflegte und die Belagerten nöthigte, zeitweise den Weideplatz zu wechseln.
Es ist schwer festzustellen, wie lange die Reisenden in dieser wenig behaglichen Lage geblieben wären, wenn nicht zufälligerweise einer der kühnsten Händler und Jäger des Landes, Chapman, mit seinem Achterrijder zu Pferde den Wagen vorausreitend, bei der Gesellschaft eingetroffen wäre. Die unerhörte Kühnheit des Löwen veranlaßte den erfahrenen Jäger, die Richtigkeit der ganzen Erzählung in Frage zu ziehen, und die Versicherung der Sulu's, daß das Thier unter einem bestimmten Busche in der Nähe verborgen läge, wurde mit einem: Bah, Unsinn! abgewiesen.
Zur thatkräftigen Widerlegung der unglaublichen Angabe, machte sich Chapman mit seinem Achterrijder sofort auf, um den Ort zu untersuchen. Er hatte sich dem bezeichneten Busche kaum genähert, als auch der Löwe aufsprang, seine Flanken mit dem Schweife schlagend und ein drohendes, tiefes Gebrüll ausstoßend.
Es folgte nun einer der bemerkenswerthesten Kämpfe, welche wohl jemals die menschliche Verwegenheit gegenüber thierischer Wildheit und Kraft durchgeführt hat, und dessen Wahrheit ich zu bezweifeln geneigt gewesen wäre, wenn nicht die einfache und schlichte Erzählung des kühnen Jägers mir durch so zahlreiche Augenzeugen bestätigt wurde.
Chapmans Waffe war eine kurze Doppelflinte, gegen zehn Pfund schwer, mit glatten Läufen, welche gehärtete Kugeln acht auf ein Pfund schoß und auf geringe Entfernungen vollständig genau trug. Der erste Schuß, vom Sattel gefeuert, fehlte den Löwen, und auch die Kugel des Achterrijders schlug seitwärts. Der Löwe sprang auf die Angreifer ein, welche gewandt umkehrten und fortsprengten, um Zeit zum Laden zu gewinnen. Als das Raubthier stehen blieb, machten sie ebenfalls Front; die Jäger sprangen aus den Sätteln und Chapmans Kugel, etwas tief gesetzt, brach die eine Vorderpranke, während die seines Begleiters quer durch die Flanken schlug. Der verwundete Löwe wendete sich zum Angriffe; doch schnell waren die verwegenen Schützen wieder im Sattel, und die willigen Pferde hielten sie außer Bereich der Gefahr, bis der Feind von der Verfolgung abließ. Dies war das Zeichen ebenfalls zu halten und schleunig zu laden. Aber vergeblich durchsuchte Chapman seine Taschen nach Kupferhütchen: bei der so aus dem Stegreif unternommenen Jagd hatte der Herr sich nicht gehörig versorgt, und es blieb daher nichts übrig, als den Achterrijder zum nahen Lager zu schicken, um das Fehlende holen zu lassen. In der Zwischenzeit setzte er indessen die Nachforschungen fort und der Zufall wollte, daß sich endlich noch zwei Hütchen vorfanden, worauf Chapman, ohne die Rückkehr des Anderen abzuwarten, sofort den Kampf erneuerte.
Bis auf dreißig Schritte herangeritten, sprang er aus dem Sattel und schickte dem spitz stehenden Löwen eine wohlgezielte Kugel zu, welche gerade in den drohend geöffneten Rachen schlug, die Zähne zerschmetternd, aber ohne eine tödtliche Verletzung zu verursachen. Dies ist der gefährlichste Schuß, welchen man machen kann, da der unsinnige Schmerz das Raubthier zur höchsten Wuth steigert, und ich glaubte dem Erzählenden gern, als er den Erfolg mit den Worten beschrieb: Maar allermagtig, word die o kerel da quaai! (Aber, alle Welt, wird der alte Kerl da böse!) Doch obgleich die Entfernung nur dreißig Schritt betrug, hatte der behende Reiter bereits seinen Sitz wieder gewonnen und sich zur Flucht gewendet, bevor das rasende Thier ihn erreichen konnte.
Als der Löwe, nachdem seine Wuth sich gelegt hatte, stillstand, war er ihm sogleich wieder auf dem Pelz, und die nächste Kugel faßte unmittelbar hinter der Schulter, ohne indessen dem Leben dieses unglaublich zähen Thieres ein Ende zu machen; es waren im Gegentheile noch vier Kugeln nothwendig, welche alle hinter der Schulter saßen, bevor der Feind als unschädlich betrachtet werden konnte.
Ich bin im Besitze der Decke eines Löwen, welchen derselbe Herr etwas früher auf dem Ansitz bei einem von dem Raubthiere die Nacht zuvor getödteten Ochsen erlegt hatte. In diesem Falle feuerte Chapman mit einem weißen Begleiter gleichzeitig auf ein gegebenes Zeichen, und obgleich nur eine Kugel hinter der Schulter einschlug, stürzte der Löwe doch nach wenigen Sätzen todt nieder, so daß also die oben erwähnte Zähigkeit nicht als Regel hingestellt werden kann. Der Grund dafür lag wohl in dem großen Alter des Thieres, welcher Umstand auch die Verwegenheit theilweise erklärt, da alte Löwen durch den schlechten Zustand ihrer Zähne und ihre geringe Flüchtigkeit verhindert werden, Wild zu erlegen, und daher, durch die Noth gezwungen, an Menschen und zahmen Vieh sich vergreifen. Sind sie in diesem Handwerk für einige Zeit erfolgreich, so wächst ihnen der Muth allmählich, und ihre Kühnheit kennt endlich keine Grenzen mehr.
Der erwähnte Löwe hatte übrigens einen Streifschuß am Kopfe, welcher erkennen ließ, daß er der Held war, welcher das Stellgewehr bearbeitet hatte, während ein nach Beendigung des Kampfes aufgefundener Schweif und einige Knochen erkennen ließen, daß das andere Gewehr seine Schuldigkeit gethan und den Räuber den Aasvögeln und Schakals überliefert hatte.
Im Atlas wird der Löwe auf sehr verschiedene Weise gejagt. Wenn er die Nähe des Lagers eines Beduinenstammes aufsucht, verbreitet sich der Schrecken unter den Zelten, und überall werden unter den sonst so muthigen Männern Klagen laut, bis sie endlich doch sich entschließen, den lästigen Nachbar zu tödten oder wenigstens zu vertreiben. Durch Erfahrung gewitzigt, hat man dem Löwen gegenüber eigene Kampfesweisen erfunden. Sämmtliche waffenfähige Männer umringen das Gebüsch, in welchem ihr Hauptfeind sich verborgen hat, und bilden drei Reihen hinter einander, von denen die erste bestimmt ist, das Thier aufzutreiben. Wie bei Arabern gewöhnlich, versucht man dies zunächst durch Schimpfen und Scheltworte zu thun: O, du Hund und Sohn eines Hundes! Du von Hunden Gezeugter und Erzeuger von Hunden! Du Würger der Herden und Erbärmlicher! Du Sohn des Teufels! Du Dieb! Du Lump! Auf, wenn du so tapfer bist, wie du vorgibst! Auf! zeige dich auch bei Tage, der du die Nacht zur Freundin hast! Rüste dich! Es gilt Männern, Söhnen des Muths, Freunden des Kriegs, gegenüber zu treten! Helfen diese Schimpfworte nicht, so werden wohl auch einige Schüsse nach dem Dickicht abgefeuert, bis endlich doch eine Kugel, welche dem Löwen gar zu nahe vorüberpfeift, dessen Gleichmuth erschöpft und ihn zum Aufstehen bringt. Brüllend und flammenden Blickes bricht er aus dem Gebüsche hervor. Wildes Geschrei empfängt ihn. Gemessenen Schrittes, verwundert und zornig sich umschauend, sieht er auf die Menge, welche ihrerseits sich bereitet, ihn würdig zu empfangen. Die erste Reihe gibt Feuer. Der Löwe springt vor und fällt gewöhnlich unter den Kugeln der Männer, welche die zweite Reihe bilden, jetzt aber sofort die erste ablösen. Er verlangt tüchtige Schützen; denn nicht selten kommt es vor, daß er, obgleich von zwei oder mehreren Kugeln durchbohrt, noch muthig fortkämpft. Einzelne Araber suchen auf zuverlässigen Fährten auch ganz allein den Löwen auf, schießen auf ihn, fliehen, schießen nochmals und tragen so zuletzt doch den Sieg davon. Ungeachtet der Menge von Leuten, welche zu solcher Jagd aufgeboten werden, bleibt sie gefährlich. Im März 1840 , berichtet Gerard, rückten sechszig Araber aus, um einer Löwin, während sie abwesend war, die Jungen zu rauben. Sie kam aber zurück, gerade als die Leute abgezogen, und zerbiß einem Manne den linken Arm. Trotzdem schoß ihr der Muthige zwei Pistolenkugeln in den Leib. Darauf stürzte sie auf einen zweiten los, bekam von ihm einen Schuß in den Rachen, warf ihn nieder, riß ihm ein Stück von den Rippen und verendete dann über ihm.
Gar nicht selten kommt es vor, daß ein einziger Löwe das ganze Araberheer in die Flucht schlägt. Gerard versichert, daß im Jahre 1853 einmal ein Löwe zweihundert gut mit Feuergewehren bewaffnete Leute vertrieb. Er hatte dabei einen Mann getödtet und ihrer sechs verwundet.
Auch auf dem Anstande erlegt man den Löwen. Die Araber graben eine Grube, decken sie von oben fest zu, so daß nur die Schießlöcher offen sind, und werfen ein frisch getödtetes Wildschwein davor; oder sie setzen sich auf Bäume und schießen von dort herab.
Außerdem fangen die Araber des Atlas den Löwen in Fallgruben, welche zehn Meter tief und fünf Meter breit sind. Sobald das königliche Thier in der Grube liegt, läuft von weither alles zusammen, und es entsteht ein entsetzlicher Lärm ringsum. Jeder schreit, schimpft und wirft Steine hinunter. Am tollsten treiben es aber die Weiber und Kinder. Zuletzt schießen die Männer das Thier zusammen. Es empfängt die Kugeln ruhig, ohne zu klagen oder ohne mit den Wimpern zu zucken. Erst wenn es vollkommen regungslos daliegt, wagt man sich hinab und bindet ihm Stricke um die Füße, an welchen man die Leiche mühselig heraufwindet; denn der ausgewachsene männliche Löwe wiegt oft über vier Centner. Jeder Knabe bekommt ein Stück vom Herzen zu essen, damit er muthig werde. Die Haare der Mähne benutzt man zu Amuleten, weil man glaubt, daß derjenige, welcher dergleichen Haare bei sich trage, vom Zahne des Löwen verschont bleibe.
Fallen aller Art meidet der Löwe mit äußerster Vorsicht, bekundet überhaupt angesichts verdächtiger Vorkehrungen oder auch nur ungewöhnlicher Erscheinungen fast unüberwindliches Mistrauen. Ein Pferd, welches sich losgerissen, fern von seinem Gebieter aber mit der nachschleppenden Leine wieder verstrickt hatte, fand man, laut Livingstone, nach zwei Tagen unbeschädigt vor, obgleich zahlreiche Löwenspuren bewiesen, daß es von den gewaltigen Räubern aufgefunden worden war, diese aber, aus Furcht in eine Falle zu gerathen, es nicht gewagt hatten, einen Angriff zu machen. Angebundene Ochsen oder Schafe werden äußerst selten angegriffen, erstere in Südafrika deshalb auch geradezu zur Sicherung der Reisenden verwendet, indem man sie so an dem mächtigen Wagen anbindet, daß ihre Kraft bei dem Versuche, gleichzeitig durchzubrechen, nach allen Seiten hin wirksam wird, sie also gegenseitig aufhebt. Furcht oder doch Mistrauen ist wohl auch der Hauptgrund, daß der Löwe, angesichts des Krâls oder der Ser ba brüllt und das Vieh zum Ausbrechen zu verleiten sucht, anstatt unmittelbar es anzugreifen.
Zur Vervollständigung vorstehender Mittheilungen will ich meinen alten Reisegefährten und Freund, Leo Buvry, noch einiges erzählen lassen: Es kommt nur noch selten vor, daß die Eingeborenen Algeriens frei und offen dem Löwen den Krieg erklären und ihn in seinem Verstecke aufstören, bis er den Kampf annimmt. Das heutige Geschlecht der Araber, obwohl es ihm durchaus nicht an Muth fehlt, zieht es vor, ihn auf minder gefahrvolle Weise zu bekämpfen. Man spürt seine Fährte auf und gräbt zur Seite derselben ein etwa zwei Meter tiefes Loch, welches nach oben zu sich verengert und den Getreidegruben ähnlich ist. In dieses Loch versteckt sich der Araber und überdeckt die Oeffnung mit Zweigen. Dort lauert er viele Nächte, bis der Löwe auf einem seiner Streifzüge wieder einmal diesen Weg aufnimmt. Ist das Raubthier nahe genug am Verstecke, so zielt der Jäger nach dem Kopfe oder dem Herzen. Bei der herrschenden Finsternis ist der Schuß immer unsicher; denn verwundet der Jäger den Löwen bloß, so faßt dieser alles Umstehende mit seinen grimmigen Tatzen: bricht er doch ziemlich starke Bäume mit denselben um! Gewöhnlich entfernt er sich nicht sobald von dem Orte, an dem er verwundet wurde, sondern sucht nach dem verborgenen Feinde und erhält sodann die zweite nun tödtliche Kugel. Jetzt kriecht der Araber aus seinem Verstecke hervor, zündet ein großes Feuer an, wickelt sich in seinen Burnus und bringt auf diese Weise den Rest der Nacht zu. Ist es indeß um die Brunstzeit und hat der Jäger Grund, das Nachkommen der Löwin zu gewärtigen, so zündet er vor allen Dingen auch ein Feuer an, befestigt aber nun an den Hinterbeinen des todten Löwen einen Strick, erklettert einen hohen Baum, schlingt den Strick um einen Ast und zieht seine Beute an demselben in die Höhe bis oben in die Krone des Baumes, um sie der gefräßigen Bande der Schakale und Hiänen zu entziehen. Selbstverständlich vermag er bloß mittelgroße Löwen auf diese Weise zu sichern; denn die großen sind, für einen Mann wenigstens, viel zu schwer, als daß er sie bewegen könnte.
Bricht nun endlich der langersehnte Morgen an, so macht unser Araber sich auf den Weg, um seinen Duar zu erreichen. Wenn er unterwegs an einer Quelle vorüberkommt, hockt er nieder und verrichtet die vorgeschriebenen Waschungen und das Dankgebet; dann eilt er so schnell als möglich weiter. Zu Hause angekommen, läßt er sich kaum Zeit, mit Speise und Trank sich zu erquicken, sondern nimmt einen starken Esel und schafft mit ihm den Löwen nach der Stadt. Pferde und Maulthiere lassen sich nicht zum Fortschaffen eines Raubthieres verwenden, weil sie vor solcher Bürde im höchsten Grade scheuen und vor lauter Zittern und Zagen gar nicht in Gang zu bringen sind. Ist der Löwe für die Kraft eines Esels zu stark, so miethet der Araber sich einen Karren und holt mit diesem seine Beute herbei.
Nun beginnt der Triumph des Jägers; denn inzwischen hat sich die Nachricht von seiner That wie ein Lauffeuer verbreitet. Er fährt zuerst nach seinem Duar, wo Männer, Weiber und Kinder aus den Zelten hervorkriechen und herbeikommen, ihn wegen seines Heldenmuthes zu beglückwünschen. Das unvermeidliche Pulver muß in Freudenschüssen sein Wort mit reden, und eine Diffa oder Freudenmahlzeit stärkt den Löwenbesieger zu seiner Reise nach der Stadt. Einige Freunde begleiten ihn, und der Zug setzt sich in Bewegung. Ueberall, wo derselbe bei den Duars vorbeikommt, eilen die Araber herbei und preisen den Muth des Jägers und die Stärke des erlegten Thieres. Dieser und jener schließt sich wohl auch dem abenteuerlichen Zuge an, so daß derselbe immer ansehnlicher wird, je mehr er sich der Stadt nähert. Vor dem Bureau Arabe wird Halt gemacht. Der Jäger tritt hinein, um von dem Chef desselben die gesetzmäßige Belohnung zu empfangen. Dieselbe betrug ursprünglich hundert Franken; seitdem aber die Jagd von den Einheimischen sowohl als von den europäischen Ansiedlern regelrechter betrieben worden ist, hat man sie auf fünfzig Franken herabgesetzt. Ebenso verhält es sich mit dem Schußgelde für den Leoparden. Nach Auszahlung des Schußgeldes begibt sich der Zug vor die Wohnung des befehlshabenden Generals; diesem wird meist, in der Hoffnung auf ein entsprechendes Gegengeschenk, das Fell überlassen. Zeigt er keine Lust, das Fell zu besitzen, so begnügt sich der Araber auch mit einer warmen Lobrede auf seine Tapferkeit, und die Löwenhaut wandert gegen einen Preis von hundert bis hundertundfünfzig Franken zu einem Gerber, welcher sie als Teppich verarbeitet und durchschnittlich für vierhundert Franken an Durchreisende oder Fremde verkauft. Das Fleisch überläßt man dem Schlächter, welcher das Pfund zu einem halben Franken an Europäer verkauft; in Algerien wird der Löwe auch von diesen gern gegessen.
Auf solche Weise verdient der Jäger durch seinen Schuß ungefähr dreihundert Franken, für einen Araber eine ungeheuere Summe. Gewöhnlich kauft er sich sogleich einen neuen Burnus, einen Ueberwurf und Pantoffeln und kehrt sodann freudigen Herzens in seinen Duar zurück. Aber an diesem schnellen Verdienste hat der Teufel seinen Antheil; denn von nun antreibt den glücklichen Jäger eine unersättliche Jagdlust. Er vernachlässigt fortan alle seine Geschäfte, um nur nach wilden Thieren auf der Lauer liegen zu können. Doch das Glück ist sparsam mit seinen Gaben. Das wenige übriggebliebene Geld wird nach und nach verausgabt, das Pulver knapp, der neue Burnus gegen einen alten vertauscht, die Pantoffeln zerreißen, die nackten Sohlen müssen wieder den glühenden Sand empfinden, und der Ruhmgekrönte von damals ist wieder ein Bettler. Auf meinen Zügen habe ich viele solcher Löwenjäger kennen gelernt, welche außer ihren Lorbeeren so gut wie nichts besaßen. Ein Schuß Pulver war für sie der Inbegriff aller Wünsche, die erste Staffel zur Erreichung ihrer hochfliegenden Pläne. Stundenlang, ja ganze Tage saßen sie vor meiner Thür und erzählten mir von ihren Heldenthaten; der Endreim aller Erzählungen war immer ein Betteln um Pulver. Niemals ließen sie sich bewegen, für mich Jagd auf andere Thiere zu machen.
Junge Löwen, von denen alljährlich einige in den Städten der Regentschaft feilgeboten werden, bezahlen die Europäer mit fünfzig bis hundertundfünfzig Franken. Die Araber fangen dieselben entweder in Fallgruben, oder sie folgen in dem frischgefallenen Schnee der Fährte der Löwin bis zu ihrem Bau und rauben in ihrer Abwesenheit die Jungen. Daß ein solches Unternehmen nicht ohne Gefahr ist, leuchtet ein. Sehr oft ruft die Stimme des jungen Thieres die Mutter herbei, und diese wirft sich dann mit furchtbarer Wuth und der Ausdauer der Verzweiflung auf den Jäger.
Im allgemeinen ist der Winter, besonders wenn derselbe von heftigen Schneefällen begleitet wird, die geeignetste Jahreszeit für die Jagd auf wilde Thiere. Wenn der Schnee auf den höchsten Höhen liegen bleibt und die Thiere sich veranlaßt sehen, in die Niederungen hinabzusteigen, um ihre Nahrung zu suchen, wird es dem Jäger leicht, ihnen bis zu ihrem Bau zu folgen. Uebrigens sind reißende und selbst tiefe Flüsse dem Löwen kein Hindernis auf seinem Wege. Mit einem gewaltigen Satze stürzt er sich in das Wasser und durchschwimmt dasselbe. Ist es um die Brunstzeit, so findet man die Löwin stets im Gefolge des Löwen, und während dieser in einen Duar eindringt, um ein Rind, Pferd oder Maulthier zu ergreifen, hat sich die Löwin ruhig hingestreckt und wartet, bis ihr Gemahl zu ihr zurückkehrt; dieser soll sogar die Artigkeit so weit treiben, daß er ihr den ersten Antheil von der Beute überläßt und erst dann, wenn sie vollständig gesättigt ist, sich auch darüber hermacht.
In unserem gesitteten Europa schlägt man die Verdienste eines Löwenjägers im allgemeinen zu gering an. Man läßt sich wohl zur Anerkennung seiner Beharrlichkeit und seines Muthes herbei, bedenkt aber nicht, welchen außerordentlichen Vortheil eine solche kühne Beschäftigung dem Lande bringt. Eine kurze Andeutung in Bezug hierauf mag genügen.
Der Löwe erreicht durchschnittlich ein Alter von fünfunddreißig Jahren. Bei seinem gewaltigen Leibesbau entwickelt er nach kaum zwölfstündigem Fasten schon einen ganz vortrefflichen Appetit, und da er außerdem ein Leckermaul ist und nur ungern zu einem erlegten Stück Vieh zurückkehrt, sondern auch für die Schakale und Hiänen sorgt, vermehrt sich der Schaden natürlich noch bedeutend. Man kann diesen Schaden, weil sich der Löwe meist in bestimmten Gegenden aufhält, ziemlich genau feststellen, indem man zusammenrechnet, welche Verluste er den Duars durch Wegrauben von Pferden, Maulthieren und Hammeln das ganze Jahr hindurch zufügt. Der Schaden nun, welchen ein Löwe anrichtet, beträgt durchschnittlich sechstausend Franken im Jahre, für seine Lebensdauer also über zweimalhunderttausend Franken. Auf die Provinz Constantine kann man mit ziemlicher Gewißheit fünfzig Löwen rechnen, welche zu ihrem Verbrauche während ihrer ganzen Lebenszeit die Kleinigkeit von zehn Millionen fünfmalhunderttausend Franken erfordern! Man berechne nach diesem Maßstabe, welchen Nutzen der kühne Löwenjäger Jules Gerard auf seinen glücklichen Jagden der Regentschaft Algier gebracht hat. Dafür wurde aber auch dieser Offizier der Spahis von den Arabern und Europäern wie ein Halbgott verehrt.
Jung eingefangene Löwen werden bei verständiger Pflege sehr zahm. Sie erkennen in dem Menschen ihren Pfleger und gewinnen ihn um so lieber, jemehr er sich mit ihnen beschäftigt. Man kann sich kaum ein liebenswürdigeres Geschöpf denken als einen so gezähmten Löwen, welcher seine Freiheit, ich möchte sagen, sein Löwenthum, vergessen hat und dem Menschen mit voller Seele sich hingibt. Ich habe eine Löwin zwei Jahre lang gepflegt und ihr liebenswürdiges Wesen sowie viele Eigenheiten von ihr bereits ausführlich beschrieben, will aber doch einiges hier wiederholen.
Bachída, so hieß die Löwin, hatte früher Latíf-Pascha, dem egyptischen Statthalter im Ostsudân, angehört und war einem meiner Freunde zum Geschenke gemacht worden. Sie gewöhnte sich in kürzester Zeit in unserem Hofe ein und durfte dort frei umherlaufen. Bald folgte sie mir wie ein Hund, liebkoste mich bei jeder Gelegenheit und wurde bloß dadurch lästig, daß sie zuweilen auf den Einfall kam, mich nachts auf meinem Lager zu besuchen und dann durch ihre Liebkosungen aufzuwecken.
Nach wenigen Wochen hatte sie sich die Herrschaft über alles Lebende auf dem Hofe angemaßt, jedoch mehr in der Absicht, mit den Thieren zu spielen, als um ihnen Leid zu thun. Nur zweimal tödtete und fraß sie Thiere; einmal einen Affen, das andere Mal einen Widder, mit welchem sie vorher gespielt hatte. Die meisten Thiere behandelte sie mit dem größten Uebermuthe und neckte und ängstigte sie auf jede Weise. Ein einziges Thier verstand es, sie zu bändigen. Dies war ein Marabu, welcher, als beide Thiere sich kennen lernten, ihr mit seinem gewaltigen Keilschnabel zu Leibe ging und sie dergestalt abprügelte, daß sie ihm, wenn auch nach langem Kampfe, den Sieg zugestehen mußte. Oft machte sie sich das Vergnügen, nach Katzenart auf den Boden sich zu legen und einen von uns auf das Korn zu nehmen, über welchen sie dann plötzlich herfiel wie eine Katze über die Maus, aber bloß in der Absicht, um uns zu necken. Gegen uns benahm sie sich stets liebenswürdig und ehrlich. Falschheit kannte sie nicht; selbst als sie einmal gezüchtigt worden war, kam sie schon nach wenigen Minuten wieder und schmiegte sich ebenso vertraulich an mich an wie früher. Ihr Zorn verrauchte augenblicklich, und eine Liebkosung konnte sie sogleich besänftigen.
Auf der Reise von Chartum nach Kairo, welche wir auf dem Nile zurücklegten, wurde sie, solange das Schiff in Fahrt war, in einen Käfig eingesperrt, sobald wir aber anlegten, jedesmal freigelassen. Dann sprang sie wie ein übermüthiges Füllen lange Zeit umher und entleerte sich stets zunächst ihres Unraths; denn ihre Reinlichkeitsliebe war so groß, daß sie niemals ihren Käfig während der Fahrt beschmutzte. Bei diesen Ausflügen ließ sie sich mehrere Male dumme Streiche zu Schulden kommen. So erwürgte sie unter anderem in einem Dorfe ein Lamm und fing sich in einem zweiten einen kleinen Negerknaben; doch vermochte ich zum Glück den Bedrängten zu befreien, da sie gegen mich überhaupt nie widerspenstig sich zeigte. In Kairo konnte ich, sie an der Leine führend, mit ihr spazieren gehen, und auf der Ueberfahrt von Alexandrien nach Triest holte ich sie tagtäglich auf das Verdeck herauf, zur allgemeinen Freude der Mitreisenden. Sie kam nach Berlin, und ich sah sie zwei Jahre nicht wieder. Nach dieser Zeit besuchte ich sie und wurde augenblicklich von ihr erkannt. Ich habe nach allem diesen keinen Grund, an den vielen ähnlichen anderen Berichten, welche wir schon über gefangene Löwen haben, zu zweifeln.
Bei guter Nahrung dauert, wie schon bemerkt, der Löwe viele Jahre in der Gefangenschaft aus. Er bedarf etwa acht Pfund gutes Fleisch täglich. Dabei befindet er sich wohl und wird beleibt und fett.
Ueber wenige Thiere ist von jeher so viel gefabelt worden und wird noch heutigen Tages so viel gefabelt wie über den Löwen. Die Nachrichten über ihn laufen, wie leicht begreiflich, bis in das graueste Alterthum zurück. Die altegyptischen Denkmäler stellen ihn in den verschiedensten Lagen seines Lebens dar und überzeugen uns, daß die alten Egypter ihn sehr gut gekannt, auch schon ganz richtig eingeordnet haben. Die altegyptische Sprache , bemerkt Johannes Dümichen, welcher das Nachstehende für das Thierleben niederzuschreiben die Güte gehabt hat, kennt für Löwe und Katze nur ein und dasselbe Wort. Die Gruppe, durch welche dieses in der Bilderschrift bezeichnet wird, hatte die Aussprache Maau , ein Wort, in welchem die klangbildliche Grundlage nicht zu verkennen ist. Ob diese Gruppe in den Inschriften nun die eine oder die andere Bedeutung hat, entscheidet das Determinativ, d.h. dasjenige Bild, welches der voranstehenden Gruppe noch zur besonderen Erläuterung nachgestellt ist, in unserem Falle also das Bild eines Löwen oder das einer Katze. Außer Maau kommen noch vor die Worte Ar und Tam , letzteres insbesondere zur Bezeichnung einer Sonnengottheit, welche in der im östlichen Delta gelegenen Stadt Tal, dem Zoan der Bibel und Tanis der Griechen, dem heutigen San, unter dem Bilde eines Löwen, als Schützer der Pforten des Ostens und siegreicher Kämpfer gegen den asiatischen Baal verehrt wurde. Daß die alten Egypter dem Löwen die erste Stelle unter allen Raubthieren einräumten, unterliegt aus dem Grunde keinen Zweifel, als das Wort Maau allgemein zur Bezeichnung der ganzen Ordnung gebraucht wurde. So heißt es in dem nach seinem Besitzer genannten Papyrus Harris: O Herr der Götter, wolle abwehren von mir alle wilden Raubthiere (Maau-u) des Landes, die Krokodile in dem Strome und die Schlangen alle, welche stechen . In dem hieroglyphischen Schriftsystem, als ein Klangbild gebraucht, ist das Bild eines ruhenden Löwen der Vertreter des Lautes R oder L, welche in der egyptischen Sprache noch nicht getrennt waren, daher wir noch im Koptischen, der Tochter des Altegyptischen, dieselben Worte, in denen in den entsprechenden hieroglyphischen Gruppen das Zeichen des ruhenden Löwen als Vertreter des R oder L auftritt, bald mit R, bald mit L geschrieben finden.
Auf Denkmälern aus fast allen Zeiten des egyptischen Reiches, auch schon auf solchen, denen wir ein Alter von mindestens viertausend Jahren zuschreiben müssen, wie z.B. in den Gräbern bei den Pyramiden von Sakhara, begegnen uns unter dem Bilderschmuc ke der Wände in Tempeln und Grabkammern nicht selten Darstellungen freilebender und gezähmter Löwen, und zwar kommt, was Beachtung verdient, nicht bloß der afrikanische, sondern auch der asiatische Löwe vor, letzterer bald von asiatischen Völkerschaften als Tribut herbeigeführt, bald von den auf Kriegszügen in Asien weilenden Königen verfolgt. Die älteste mir bekannte Darstellung einer Löwenjagd weist eine Grabkammer bei Sakhara auf, deren Bilderschmuck unzweifelhaft zu den gelungensten Schöpfungen altegyptischer Kunst gehört und wegen der vielen Thierbilder den Thierkundigen empfohlen sein mag. Der Inhaber des Grabes, in den Inschriften Ptah-Hoteb genannt, ein hoher Würdenträger des Reiches unter König Tatkara-Assa, dem Tancheres der fünften manethonischen Dynastie, wahrscheinlich derselbe, welcher die unter dem genannten Könige so berühmt gewordenen Weisheitssprüche über den Umgang mit Menschen schrieb, beweist, daß er auch mit Thieren umzugehen und ihre Jagd auszuüben verstand. Im ersten Theile meiner Resultate einer archäologischen Expedition habe ich sämmtliche Darstellungen und Inschriften der vier Wände und unter ihnen auch die erwähnte Jagdscene wiedergegeben. Es ist hier nicht, wie auf anderen Bildern, ein Angriff auf den Löwen mit Speer und Lanze, sondern ein Ueberlisten des Raubthieres dargestellt. Dieses hat man herbeigelockt durch ein als Köder dienendes Rind, dessen Entsetzen der altegyptische Künstler in der naivsten Weise zum Ausdruck zu bringen gesucht hat, während eine noch zusammengekoppelte Meute edler Windhunde des Augenblickes harrt, von dem Jagdherrn losgelassen und zur Ueberwältigung des Löwen verwendet zu werden. Die andere Hälfte des großen Gemäldes zeigt uns einen schwach bemähnten Sennâr- oder Senegallöwen hinter Schloß und Riegel, in einem von mehreren Männern getragenen Käfige, zum Beweise, daß die Jagd geglückt, oder daß man schon in jener frühen Zeit im Stande war, das gewaltige Raubthier einzufangen. Doch dies nicht allein: die alten Egypter verstanden nicht bloß den Gepard, sondern sogar den Löwen zu zähmen und ihn zur Jagd sich dienstbar zu machen. Auf vielen Bildern sehen wir den Herrscher, wie er mit Speer und Lanze der Thiere König entgegentritt und vernehmen, daß Amenophis der Dritte sich rühmt, in den ersten zehn Jahren seiner Regierung nicht weniger als einhundertundzehn Löwen erlegt zu haben; auf anderen finden wir Darstellungen des Königs und eines Löwen, welcher gemeinschaftlich mit ihm gegen die andringenden Feinde kämpft. So z.B. ist der König Ramses der Große in den nubischen Felsentempeln von Derr und Abu Simbil abgebildet in Begleitung eines ihm zur Seite kämpfenden Löwen, und die über letzteren zur Erläuterung des Bildes dienende hieroglyphische Inschrift lautet: Der Löwe, Begleiter Seiner Majestät, reißt in Stücke seine Feinde .
Die Bibel erwähnt den Löwen an vielen Stellen, und die Hebräer haben nicht weniger als zehn Namen für ihn. So soll das Wort Gur vorzugsweise einen jungen Löwen bedeuten, welcher noch saugt oder noch bei der Mutter wohnt; denn die Ableitung ist nicht ganz sicher. Mit Kephir bezeichnet man einen jungen Löwen und zwar einen solchen, welcher schon auf Raub ausgeht. Unter Ari versteht man einen erwachsenen Löwen, da das Wort von einer Wurzel herrührt, welche glühen oder brennen bedeutet, weshalb also der Löwe als der Feurige, Glühende oder Grimmige zu betrachten ist. Eigentlich lautet das Wort Arieh oder Arjeh, darunter versteht man jedoch gewöhnlich bloß einen in Erz gegossenen und vergoldeten Löwen. Schachal, der fünfte Name, ist so viel als Brüller, Schachaz der Hohe, Stolze oder sich Erhebende, Oten ein erwachsener Löwe, Labi eine Löwin, Zobbâ, dasselbe Wort, welches auch im Arabischen gebraucht wird, Würger der Herden, Lajisch endlich den in schauerlicher Wüste Lebenden. Die Bibel lehrt uns auch, daß früher Löwen in Palästina, namentlich am Libanon vorkamen und an einigen Orten sogar häufig waren.
Griechen und Römer erzählen sehr ausführlich von dem königlichen Thiere und berichten dabei eine Masse von Märchen mit. Des Löwen Knochen sollen so hart sein, daß sie Feuer geben; er soll die kleinen Thiere verachten, die Weiber schonen usw.; die starke und grausame Löwin soll nur ein einziges Junges in ihrem ganzen Leben werfen, weil dasselbe mit seinen scharfen Krallen den Tragsack zerreiße, genau wie es der Viper auch gehe. Aristoteles weiß, daß die Löwin mehrmals Junge wirft, und daß die jungen Löwen sehr klein sind und erst im zweiten Monate gehen können, weiß sogar, daß es zwei Arten Löwen gibt: kürzere mit krauserer Mähne, welche die furchtsameren, und längere mit dichterer Mähne, welche die stärkeren sind. Plinius sagt, daß die jungen Löwen anfänglich unförmliche Fleischklumpen seien, nicht größer als ein Wiesel, daß sie nach zwei Monaten kaum sich rühren könnten und erst nach dem sechsten gehen lernten. Sie tränken selten, fräßen nur einen Tag um den anderen und könnten dann wohl drei Tage fasten, verschlängen alles ganz, und zögen das, was der Magen nicht fassen könne, mit den Klauen wieder aus dem Rachen, um nöthigenfalls entfliehen zu können. Unter allen reißenden Thieren sei der Löwe allein gnädig gegen Bittende, verschone die, welche sich vor ihm niederwerfen, und ließe seinen Grimm mehr gegen die Männer als gegen die Weiber, gegen die Kinder nur beim ärgsten Hunger aus. In Libyen glaube man, daß er das Bitten verstehe; denn eine gefangene Frau erzählte, sie sei von vielen Löwen angefallen worden, habe sie aber alle durch Zureden besänftigt und immer gesagt, daß sie nur eine Frau wäre, flüchtig und krank, eine Bittende vor dem Großmüthigsten, über alle übrigen Thiere Befehlenden, eine Beute, welche seines Ruhmes nicht würdig wäre: da habe sie der Löwe gehen lassen.
Den ersten Löwenkampf gab der Aedil Scävola, einen zweiten der Diktator Sylla. Dieser hatte schon hundert Löwen, Pompejus ließ aber sechshundert und Julius Cäsar wenigstens vierhundert kämpfen. Der Fang war früher eine böse Arbeit und geschah meistens in Gruben. Unter Claudius aber entdeckte ein Hirt durch Zufall ein leichtes Mittel, den Löwen zu fangen. Er warf ihm seinen Rock über den Kopf, und der Löwe wurde hierdurch so verblüfft, daß er sich ruhig fangen ließ. Im Cirkus wurde dieses Mittel dann oft angewendet. M. Antonius fuhr nach der pharsalischen Schlacht mit einer Schauspielerin durch die Stadt in einem Wagen, welchen Löwen zogen. Hanno, der uns schon bekannte Karthager, war der erste, welcher einen gezähmten Löwen mit seinen Händen regierte. Er wurde deshalb jedoch aus seinem Vaterlande vertrieben, weil man glaubte, daß derjenige, welcher sich mit der Zähmung eines Löwen abgebe, auch die Menschen sich zu unterwerfen strebe; Hadrian tödtete im Cirkus oft hundert Löwen auf einmal; Marcus Aurelius ließ ihrer hundert mit Pfeilen erschießen. Auf diese Weise wurden die Löwen so vermindert, daß man die Einzeljagden in Afrika verbot, um immer hinlänglich viele für die Kampfspiele zu haben. Doch erst mit der Erfindung des Feuergewehres schlug dem königlichen Thiere die Stunde des Verderbens.

Als den nächsten Verwandten des Löwen sieht man einige große einfarbige Katzen Amerika's an. Ebenso gut wie die Pardel kann man sie in einer besonderen Untersippe vereinigen. Der schlanke Leib, der auffallend kleine, bart- oder mähnenlose Kopf, die starken Glieder und kräftigen Pranken, die gänzlich fehlenden Streifen, Ringel und Flecken und der runde Augenstern würden als Merkmale dieser Gruppe zu betrachten sein.

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