Kapitel 06 - Ein Versprechen muss man halten

Candy, die kleinste der Katzen in unserem Haushalt war in keiner Hinsicht den anderen unterlegen. Sie passte sich den Gewohnheiten des Haushalts an, ohne ihre beinah hoheitsvolle Haltung aufzugeben. Sogar Buenas Körbchen pflegte sie ab und zu zu annektieren. Merkwürdigerweise gab es darüber niemals Streit. Wer zuerst kam, hatte die ersten Rechte. Das hat uns damals ziemlich verwundert; es war ja eigentlich Buenas "Höhle" und ihr Eigentum und sehr persönliches Territorium. Sowohl Buena als auch Candy teilten jede diesen Platz gern mit Cleo oder Jantje, gelegentlich auch, aber seltener, mit einer der anderen Katzen, aber nie miteinander. Im Palast ist Raum für einen König und viele Untertanen, aber nicht genug Platz für zwei Könige.

Daran, daß Candy uns als Familie akzeptierte aber vor Fremden weiter Angst hatte, gewöhnten wir uns. Es war auch kein Problem, sie durfte schließlich im ganzen Hause herumlaufen, wo sie wollte, und wir hatten zum Glück noch keine Ahnung von dem, was mit Candy an "publicity" auf uns zukommen würde.

Jetzt wird es Zeit, daß ich von ein paar Ereignissen berichte, die sich zwischenzeitlich zugetragen hatten. Sie erschienen auch erst nicht so wichtig, aber sie hatten später doch einen ziemlich großen Einfluß auf den weiteren Verlauf der Ereignisse.

Ich war, als stolze Besitzerin einer Abessinierkatze, Mitglied bei einem dieser Vereine geworden, die - so steht meist in den Vereinsregeln- sich die Erhaltung und die Zucht von Rassekatzen zum Ziel setzen. Der Verein gab eine Zeitschrift heraus, in der man unter anderem lesen konnte, wann und wo Katzenausstellungen stattfanden.

Dadurch ermutigt, hatte ich mich im Herbst 1961 mit Jantje und Cleoni auf die Reise nach Paris gemacht zur - damals - größten Katzenausstellung in Europa. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an diese Reise: das sonnig-herbstliche Paris, die Ausstellung in einer so freundlichen, festlichen Atmosphäre, die mit den Ausstellungen heute nicht zu vergleichen ist. Das Schönste war natürlich der "Erfolg", den ich mit meinen beiden Lieblingen hatte. Der Preis, den Cleo damals gewonnen hat, ein silberner Teller mit der Inschrift: "Cleoni, Paris 1961" steht heute noch in meinem Wohnzimmer. Aber auch Jantje wurde vorzüglich beurteilt als "Europäische Kurzhaarkatze, gefleckt". Sein Fleckenmuster sei fehlerlos, so meldet der Richterbericht.

Dieser Erfolg ermutigte mich, nun auch an einer Ausstellung in Den Haag teilzunehmen. Hier hatte Cleoni allerdings eine starke Konkurrenz. Sie wurde "nur" zweite. Die erste wurde eine Abessinierkatze aus Deutschland: "Assunta von Ras Daschan", die wirklich noch schöner war, als meine schöne Cleoni. Ich gratulierte der Eigentümerin, Frau Dietze, und erzählte ihr von meinem Briefwechsel mit Mrs. Winsor, die damals geschrieben hatte: "Sie suchen die unmögliche Katze." Assunta, so meinte ich, sei dem Prototyp der perfekten Abessinierkatze wohl wirklich sehr nah. Ich verabschiedete mich später von Frau Dietze mit einem dieser leichten Scherze, die man so macht: "Wenn Sie die Assunta einmal nicht mehr haben wollen, Frau Dietze, dann lassen Sie sie bitte in meine Richtung laufen!" - Gedacht habe ich mir dabei überhaupt nichts. Frau Dietze und Assunta schienen mir unzertrennlich.

Mit Mrs. Winsor stand ich auch noch in lebhaftem Briefwechsel. Sie war eine wundervolle Lady und jeder ihrer Briefe war eine Freude zu lesen. Für "Our Cats", die englische Katzenzeitschrift, schrieb sie interessante Artikel und sehr talentvolle Gedichte.

Jemand hatte mich auf den "Long Island Ocelot Club" in Amerika aufmerksam gemacht. Ich wurde Mitglied und erhielt seitdem die Vereinszeitschrift. Obschon die Mitglieder des Vereins durchwegs größere Wildkatzen hatten als ich:

Ozelots (richtige, die schließlich zweimal so groß sind, wie unsere Buena), Pumas und ähnliches, so lernte ich doch ungeheuer viel aus den Erfahrungen der Mitglieder, die in der Zeitschrift, dem "Long Island Ocelot Newsletter" berichtet wurden. Ich habe später durch Briefwechsel, die im Laufe der Zeit mit den Mitgliedern des Vereins entstanden, manchen guten Rat erhalten.

So saß ich bald an den Abenden nicht mehr mit einer Strickarbeit zwischen Mann und Katzen im Wohnzimmer, sondern schrieb Briefe an Katzenfreunde überall auf der Welt. Oder ich las Katzenzeitschriften, die nun in steigender Zahl ins Haus flatterten. Diese Beziehungen nun, so dachte ich mir, würden mir zu Gute kommen, wenn ich mein Versprechen einlösen wollte, das ich an Herrn Verolme gegeben hatte, als ich ihn um eine Wildkatze bat. Ich hatte Candy schließlich unter der Bedingung bekommen, daß ich bei allen Veröffentlichungen über sie den Namen "Verolme" nennen würde. Ich war so glücklich über Candy, daß es mir geradezu eine Freude war, etwas zum Dank zurück tun zu können.

Also schrieb ich begeisterte Berichte über meine Wildkatzen und schickte sie in die Welt hinaus: erst an die holländische Vereinszeitschrift, dann an "La Vie Feline" in Frankreich, an "Cats" in Amerika, an "Die Edelkatze" in Deutschland und an "Our Cats" in England. Wenig wußte ich damals noch von dem, was in Industriekreisen unter "publicity" verstanden wird. Jedenfalls etwas anderes als ein Artikel in einer Katzenzeitschrift.

Es kam ein Anruf von einem Herrn van der Hoest, der sich als der Pressechef der Firma Verolme vorstellte und fragte, ob er eine kleine Reportage über meine Wildkatze aus Brasilien für die Betriebszeitschrift der Firma Verolme machen könnte, wenn möglich gleich morgen Nachmittag. Dann könne der Bericht noch in der nächsten Ausgabe der "Verolme Nieuws" erscheinen.

Natürlich sagte ich, daß es mich freuen würde, und so stand Herr van der Hoest am nächsten Tag pünktlich vor der Tür. Er war in Begleitung eines Fotografen, den er allerdings genau so gut zu Hause hätte lassen können, denn von Candy war nicht viel mehr zu sehen, als ein letztes Stückchen Schwanz, das noch unter dem Schrank hervor sah. Als ich sie mit einem Stückchen Fleisch hervorlocken wollte, kam sie erst, aber als sie die fremden Leute sah, flog sie blitzschnell von der einen Ecke des Zimmers in die andere, unter das Sofa. Der Herr Pressechef war aber sehr verständnisvoll und freundlich und nahm vorlieb mit einem der Fotos, die ich selbst schon gemacht hatte und mit dem, was ich über Candy erzählte.

Als er fort ging, hatte ich ihm versprochen, daß ich für eine spätere Nummer der "Verolme Nieuws" einen ausführlichen Bericht schreiben würde. In der Tür drehte Herr van der Hoest sich noch einmal um: "Ach ja, wir werden auch wohl noch eine Nachricht an die Presseagentur herausgeben. Es kann also sein, daß sie hier noch ein paar Reporter zu Besuch bekommen, das ist ihnen doch sicher recht?.....

Ein Exemplar der "Verolme Nieuws" mit dem Foto von Candy wurde mir zugeschickt. Im Begleitartikel wurde erzählt, daß Herr Verolme mir auf meine Bitte eine brasilianische Wildkatze mitgebracht hätte, die von mir inzwischen in ein Spielzeugpantherchen verwandelt sei, das "wie ein Häschen mit zwei Pfoten zugleich" jetzt durch mein Haus springen würde.

Obwohl hier der Wirklichkeit etwas Gewalt angetan wurde, war ich doch sehr gerührt und habe mir dann für meinen vier Seiten langen Bericht für die nächste Zeitschrift der "Verolme Nieuws" viel Mühe gegeben. Ich wußte nämlich inzwischen, daß die gut versorgte Betriebszeitschrift der Verolme Werften in verschiedenen Übersetzungen auch in den Schwesterbetrieben in Irland, Brasilien, Mexiko und Norwegen gelesen wurde. So konnte ich gleich versuchen, für etwas mehr Verständnis für die südamerikanischen Tigerkatzen zu werben.

Die "Presse" kam dann tatsächlich. Meist kam sie zu zweit, ein Reporter bewaffnet mit Schreibmaterial, der andere mit einer Kamera. Sie stellten sich als Reporter dieser oder jener Zeitung oder Zeitschrift vor und fielen gleich mit den Fragen ins Haus. Ich pflegte dann Tee anzubieten zur Entspannung der Atmosphäre und war naiv genug, um auf alle Fragen, oft sehr persönliche, frei von der Leber weg zu antworten.

Tonbandkassetten, wie heutzutage, waren damals noch nicht so allgemein üblich, es wurde noch eifrig Stenografiert. Da ich noch lange nicht erfahren genug war, um vorher ein kleines Resümee aufzustellen, das ich mitgeben konnte, waren die Resultate oft einigermaßen verblüffend. Ich habe noch immer eine Mappe voll mit diesen Kuriositäten. Das Verzwickteste an der ganzen Sache war natürlich, daß die Hauptperson, Candy, sich der ganzen Publizität entzog. Wenn die Türglocke ging, verschwand sie gleich unter dem erstbesten Schrank, in Buenas Körbchen, oder sie suchte volle Deckung bei einer der anderen Katzen. Die Wohnzimmertür hielt ich meist schon lange vorher geschlossen, damit Candy nicht nach oben ins Haus flüchtete, was zweifellos eine Presse-Invasion in die oberen Geschosse ausgelöst hätte. Aus ihrem Versteck hervor jagen wollte ich die arme Candy nun auch nicht. Ich wußte wieviel Angst sie vor den fremden Leuten haben würde.

So traf es sich gut, daß Buena den ganzen Rummel immer in vollen Zügen genoß. Wie ich schon sagte, hatte sie einen ausgeprägten Sinn für Humor. Sie stahl Handschuhe, Fototaschen und was sich sonstwie schleppen ließ. Sie thronte auf der Garderobe, wenn die Besucher ihren Mantel anziehen wollten und sich nicht trauten, ihn unter ihr fortzuziehen, oder sie demonstrierte soziales Verhalten mit den anderen Katzen. Ab und zu gab sie auch eine Nummer Akrobatik in den Gardinen zum besten.

Inzwischen erzählte ich gelassen, (ich war den ganzen Zauber inzwischen gewöhnt), daß ich eine so schöne Wildkatze von Herrn Verolme bekommen habe, die von der Verolme Werft in Jacuacanga komme. Obendrein sei Candy nicht nur eine schöne, sondern auch sehr interessante Katze, eine Oncilla (ja, O-N-C-I-L-L-A), also ein sehr seltenes Exemplar der zweitkleinsten Wildkatzensorte der Welt. Die bisher kleinste Wildkatze ist Felis nigripes (zu deutsch: Schwarzfußkatze) in Afrika. Ich ließ auch nicht unerwähnt, daß über das Leben dieser kleinen Wildkatzen im Urwald fast noch nichts bekannt sei. Daraufhin machte dann der Fotograf ein paar schöne Fotos von Buena, die sich geradezu als Fotomodel anbot! Buena war inzwischen mehr als einen Meter lang, allein der Schwanz nahm davon schon etwa 40 cm in Anspruch, aber das fiel offenbar weiter nicht auf.
Am nächsten Tag stand Buena dann an Candys Stelle als "zweitkleinste Wildkatze der Welt" strahlend in der jeweiligen Zeitschrift oder Zeitung. So haben wir fröhlich und unverzagt zu der allgemeinen Verwirrung um die Wildkatzen der dritten Welt beigetragen. Es ließ sich nicht verhindern. Das war eine merkwürdige und manchmal mehr oder weniger amüsante Weise, mich für Candy zu bedanken.

Nun ergab sich zwangsläufig, daß Gott und alle Welt von meinem Wildkatzenfimmel wußte und ich mich vor Besuchern, die "das" sehen wollten, kaum mehr retten konnte. Ich teilte sie nach einer Weile in drei Gruppen ein: die nur Neugierigen, die ernsthaft Interessierten und die Interessanten.

Die Neugierigen sagten Dinge wie: "Ach, wie niedlich, wo kann man die kaufen?" oder: "Richtige kleine Pelzmäntelchen." oder auch :"Beißen die?" Auf die Dauer fand ich eine Methode, wie ich solche Leute höflich aber bestimmt in kürzester Zeit wieder hinaus komplimentieren konnte. Buena hatte bestimmte Sympathien und Antipathien gegenüber unseren Besuchern. Manche liebte sie geradezu, andere wiederum hielt sie auf Abstand und besah sie geradezu nachdenklich.

Und dann war da noch die Dame, die beim Anblick von Buena sagte: "Bah, das ist ja zum Gruseln. Ich habe eine viel schönere Katze!" Sie hatte die Fotos griffbereit in der Tasche und zeigte mir ihre Perserkatze von rechts, links, vorne und hinten im Postkartenformat. Fast keine Nase, Augen etwas tränend, sah sie ergeben den Zuschauer an. Mir tut so etwas immer leid, aber ich sagte höflich: "Wirklich wunderschön." ("Wat de ein sin Uhl is, is de andere sin Nachtegal", dachte ich). Die Dame sah sich noch einmal nach Buena um: "Nein, sowas käm' bei mir nicht ins Haus." Sie packte ihren sprachlosen Mann, der Buena bewundernd ansah, beim Arm: "Komm, Wim!" und verließ das Haus mit der Miene von jemand, der einen moralischen Sieg davongetragen hat. Kurz vor der Haustür hörte ich sie noch sagen: "Normal ist das nicht, oder?"

Ich hoffe sehr, daß sie recht hatte. Wie sagte Hermann Hesse doch so schön und treffend: "Es gibt nichts so grausames, wie die Normalmenschen."

Aufrechtes Interesse zeigte zweifellos Frau Verolme, die schon bald kam, um sich unsere kleine Brasilianerin anzusehen. Sie erzählte mir, daß sie in Jacuacanga noch nie eine Wildkatze zu Gesicht bekommen habe. Die Leute dort hätten es völlig unverständlich gefunden, daß sie eine LEBENDE Oncilla haben wollte. "Wenn wir nach einer lebenden Ratte gefragt hätten, wären die Leute sicher nicht weniger erstaunt gewesen." sagte Frau Verolme. "Wildkatzen werden in Brasilien als Schädlinge angesehen, die gefangen und getötet werden müssen. Von der Landbevölkerung in Brasilien werden viele Hühner gehalten und alles was Hühner stehlen könnte, ist zum Feind erklärt".

Wo genau Candy gefangen worden war, konnte Frau Verolme mir nicht sagen, aber es müßte sicher in der Nähe der Werft gewesen sein. So ist das Rätsel, wo Candy wirklich gelebt hat, ehe sie gefangen wurde, für immer ungelöst geblieben. Es scheint mir unwahrscheinlich, daß eine Wildkatze, die so scheu wie die Oncilla ist, in der Nähe der Menschen wohnt. Es kostet mich Mühe, mir Oncillas als "Kulturfolger" vorzustellen. Andererseits sind sie gute Mäuse- und Rattenfänger. Wenn man sie, dort wo sie leben, besser kennen würde, dann brauchte man sie nicht zu verfolgen. Eher würde man einsehen, daß sie genau wie die Hauskatze als Mäusefänger "Erntebeschützer" und schon darum als nützlich einzustufen sind. Wenn das Territorium der Tiere durch Kahlschlag oder Brand vernichtet ist, dann wird der Hunger wohl auch viele Oncillas in die Nähe der Menschen und damit in den Tod treiben. So könnte auch Candy in die Falle der Werftarbeiter geraten sein. Schließlich ist jedes Stückchen Erde, wenn man es recht betrachtet, ob nun eine Stadt, Landbaugelände oder Industrieterrain, einmal ein Stück reine Natur gewesen, ehe der Mensch davon Besitz nahm. So wird dort, wo die Verolme-Werft in Jacuacanga ist, einmal brasilianischer Urwald gewesen sein, der viele Tiere beherbergte, auch Oncillas. Das, was wir Zivilisation nennen, hat sie heimatlos gemacht, und nun sind sie "Schädlinge" in den Augen der neuen Bewohner.

Viele verwilderte Hunde hatte Frau Verolme in Brasilien gesehen, erzählte sie. Armselige, magere Tiere, die von niemandem gefüttert wurden. Einige von ihnen kamen gleich angelaufen, wenn die Familie Verolme in ihrem Wohnhaus in Jacuacanga ankam.
Sie wußten, daß sie dann endlich wieder jemanden hatten, der ihnen Nahrung anbieten würde. "Es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein," sagte Frau Verolme, "Wenn wir fort sind, haben die armen Tiere wieder niemand, der sich um sie kümmert."

Candy fühlte sicher, daß sie sich dieses Mal nicht völlig verstecken dürfte. Im Schutz von Cleoni blieb sie auf ihrem Platz, unbewußt von der Tatsache, daß ihre Lebensretterin bei uns zu Besuch war.

Ich erzählte Frau Verolme von unserer kleinen "Margaytje", die mit ihrem so schnell erblühten Vertrauen zu uns unsere Herzen erobert hatte. Buena unterhielt unseren Gast in gewohnter Freundlichkeit.

Ich habe gar nicht erst gewagt, Frau Verolme beim Abschied um Fürsprache für den Erhalt der Wildkatzen in Brasilien zu bitten. Man soll nicht das Unmögliche fragen. Aber ich war mir sicher, daß Tierfreunde wie Herr und Frau Verolme jetzt doch versuchen würden, hier und da ein wenig mehr Verständnis für diese schönen und nützlichen Tiere mit hinüber nach Jacuacanga zu nehmen.

Der Schriftsteller Joost de Klerk, der mir den Rat gegeben hatte, mich an Herrn Verolme zu wenden, kam ebenfalls, um Buena und Candy zu bewundern. Candy blieb wieder einmal in ihrem Versteck unter dem Schrank, aber Buena hielt es nicht für nötig, ihr Spiel des neuen Besuchers wegen zu unterbrechen. Sein Dichterherz wurde gleich durch Buena erobert. "Ob er auch ein solches Tier haben möchte?" war die Frage. "Aber sicher, das ist für mich selbstverständlich." die prompte Antwort.

Aus dem Bericht von Joost de Klerk vom 7. April 1962:

"..........plötzlich kommt Buena angeglitten, so wie der Abend über das Land kommt. Auf ihren Pelzkissenpfötchen spaziert sie in die Stube und begibt sich zu dem halben Pfund Fleisch, das dort für sie bereit gehalten liegt......
Jetzt hat sie sich bei ihrer Zwischenmahlzeit zu einem großen Bogen aufgeschoben, sich zusammengezogen wie eine Spannerraupe, aber unendlich viel geschmeidiger. Immer wieder wundere ich mich darüber, wie manierlich die meisten Raubtiere ihr Fleisch verzehren.

Mit kleinem Kopfnicken beschäftigt sie sich mit ihrem Leckerbissen, als ob sie sich wohl eine halbe Stunde Zeit dafür nehmen würde. Aber nach zwei Minuten zieht sie sich wieder in das andere Zimmer zurück. Erst dachte ich, daß sie ihr Fleisch nun mit in ihr Körbchen nehmen würde, aber es ist bereits spurlos und geräuschlos in der Margay verschwunden.....
Ihre Bewegungen sind von einer unglaublichen Schönheit. Sie schreitet davon, wie an einem stillen Sommerabend der letzte Wellenschlag eines Bootes sich auf der Oberfläche des Wassers verliert, elegant und geschmeidig."

Soweit die dichterlichen Worte von Joost de Klerk. Ich kann es nicht lassen, sie der Vergessenheit zu entrücken.

Einige Zeit später kamen Herr Professor Leyhausen und seine Mitarbeiterin und spätere Gattin, Frau Barbara Tonkin. Professor Leyhausen war der Initiator, Direktor, Seele und Geist des Max-Planck-Institutes für Verhaltensphysiologie in Wuppertal, in dessen geräumigen und von ihm selbst entworfenen Behausungen vielerlei Wildkatzen auf ihr Verhalten beobachtet wurden. Mein Mann und ich haben später die Freude gehabt das Institut ein paarmal besuchen zu dürfen. Ich werde später noch davon erzählen.

Herr Professor Leyhausen brachte ein kleines Gastgeschenk mit: zwei weiße, tote Ratten, wie sie auch an die Wildkatzen im Zoo und im Institut verfüttert werden. (Jedem, der sich jetzt aufregt, gebe ich zu bedenken, daß diese Ratten speziell zu Futterzwecken gezüchtet werden, so wie für uns Rinder, Schweine und Hühner. Nur geht es diesen Ratten zeitlebens weitaus besser, als es leider den meisten Schlachttieren für unseren menschlichen Konsum geht. Und außerdem haben sie einen schmerzloseren Tod. Der Todesbiß einer Wildkatze vollzieht sich in Sekundenschnelle.)

Der Todesbiß war in diesem Fall überflüssig aber im übrigen gaben Buena und Candy sich Mühe, unverfälschtes Wildkatzenverhalten zu demonstrieren. Sie spielten das Beutespiel, hochwerfen, auffangen, schütteln.....Das alles sehr zur Zufriedenheit der anwesenden Verhaltensexperten. Wir brauchten nicht zu fürchten, daß unsere Wildkatzen im häuslichen Umgang mit uns ihre Urwaldmanieren verlernt hatten.
Das Beschleichen der Beute, das Fangen, das Schütteln, das Töten, das alles sind Verhaltensweisen, die für die Tiere lebensnotwendig sind, wenn sie in der freien Natur überleben wollen. Professor Leyhausen hat das in seinem Buch "Katzen, eine Verhaltenskunde" ausführlich beschrieben.

Buena und Candy zeigten sich, vielleicht unter Einfluß des Gastgeschenks, von ihrer besten Seite. Daß Buena und Candy nicht nur mit unseren "Augen der Liebe" gesehen, sondern auch in den Augen der Wissenschaft etwas besonderes waren, machte mich natürlich froh und stolz. Daß es nur sparsame Informationen über Oncillas wie Candy gäbe, weil sie fast nie lebend in Gefangenschaft gerieten und eigentlich nur durch die Felle bekannt waren, bestätigte auch Professor Leyhausen. Uns war das schon beim Studium der wenigen informativen Bücher auf diesem Gebiet aufgefallen.

Bei Tiergärten ständen die kleinen Wildkatzen obendrein im Ruf, daß sie zu schnell eingingen, weil sie den Streß der Gefangenschaft und die Nähe der Menschen vor den Käfigen nicht lange vertragen, hörten wir. - In späteren Studien von Professor Leyhausen und anderen hat sich übrigens auch herausgestellt, daß kleine Wildkatzen in Gefangenschaft auch unter relativ guten Bedingungen nach wenigen Generationen steril werden. Das füge ich der Vollständigkeit halber schon jetzt ein.

In der freien Natur dagegen, im Tropenwald, waren zu der Zeit, als es noch keine Infrarotfotos gab, Beobachtungen an Nachttieren so gut wie unmöglich.

Buena hatte noch eine Extraüberraschung für unsere Gäste bereit. Wir hörten grade andächtig den Erläuterungen von Professor Leyhausen zu, als er plötzlich mitten im Satz verstummte. Fasziniert blickte er auf Buena, die mit dem Kopf nach oben in die Gardinen geklettert war und nun mit dem Kopf nach unten mühelos wieder herabkam. Für uns war das schon ein ganz normaler Anblick, aber für unsere Besucher war es eine großartige Demonstration von etwas, das sie zwar aus der Theorie kannten, das sie aber in der Praxis noch nicht gesehen hatten.

Bei der Gelegenheit bekamen wir die Erklärung, die ich im Anfang schon kurz erwähnte, nämlich daß Margays (und nur noch einige wenige andere Baumbewohner unter den Wildkatzen z.B. der Nebelparder) ein weitaus beweglicheres Kniegelenk in den Hinterpfoten als alle anderen Katzen haben, die mit dem Kopf oben meist langsam und etwas unbeholfen nach unten klettern. Die Margay kann ihre Hinterpfoten verdrehen, zur Not kann sie sogar an einer Hinterpfote am Baum hängen, wie ein Äffchen. Das ist für einen Baumbewohner eine sehr nützliche Fähigkeit. Später hat Professor Leyhausen das bei seinen beiden Margays, über die ich noch berichten werde, gut beobachten können. In seinem Buch und in "Grzimeks Tierleben" hat er das ausführlich beschrieben.

Zum Schluß mußte ich noch versprechen, daß ich alle "wichtigen" Beobachtungen an meinen Wildkatzen aufschreiben würde. Ich fürchte, das ist kein durchschlagender Erfolg geworden, weil meine Beobachtungen meist mehr emotioneller als wissenschaftlicher Natur waren.

"Nun müßten Sie eigentlich noch einen Bueno zu Ihrer Buena bestellen." sagte Professor Leyhausen beim Abschied. "Einen BUENO?" - Mein Mann sah auf einmal etwas besorgt aus.

So konnten unsere Besucher zwei der vielen wunderschönen südamerikanischen Wildkatzen kennenlernen, die viele von ihnen sonst vielleicht nie zu sehen bekommen hätten. Das alles in einer Umgebung, in der die Tiere keine Gefangenen waren. Wir dagegen konnten Menschen in den verschiedensten Reaktionen erleben: Diejenigen, die rein berufsmäßig Informationen sammelten, die Beschützenden, Mitfühlenden, oder die banal Neugierigen, aber auch diejenigen, die mit dichterlichem Blick auf die Ästhetik der Katzen schauten oder solche, die wissenschaftliches Interesse hatten. So lernt man gegenseitig.

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